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Finnische Besonderheiten: Über Mittsommer ins Mökki

20. Januar 2015
Finnische Besonderheiten: Jeder hat ein Mökki

Zuletzt aktualisiert am 2. Juni 2021 um 7:11

Da muss ich erst über Mittsommer nach Finnland reisen, um mein Zeitgefühl mal völlig zu verlieren: in eine Hütte ohne Strom mitten im Wald. „Mökki“ heißt so ein finnisches Ferienhaus, das meist direkt an einem See steht und – klar! – eine Sauna hat. Über Mittsommer, Mökkis und andere Besonderheiten Finnlands.


Finnische Besonderheiten: Mittsommer im Land der Seen

Es ist Juni, als meine Freundin Alina und ich zum ersten Mal nach „Suomi“ in den Urlaub fliegen. Wir besuchen Laura, eine Freundin aus Helsinki, und weil Mittsommer ist, nehmen Laura und ihr Mann Daavid uns übers Wochenende mit auf ihr Mökki. „Mökkis“, das sind echte finnische Besonderheiten, und Menschen ohne Mökki in Finnland so selten wie günstiges Bier: Kaum jemand, der kein Ferienhaus mit Sauna an irgendeinem See besitzt und es zu dieser Zeit im Jahr ausgiebig nutzt. Laura und Daavid holen uns am Freitagmorgen am Hotel ab. Ihre Hütte, genauer die von Daavids Eltern, liegt in der Nähe von Kuopio. Mit dem Einkauf, den wir auf der Strecke erledigen wollen, haben wir etwa sechs Stunden Fahrt vor uns. Wenn wir gut durchkommen.

Kommen wir aber nicht. Wir stehen im Stau und müssen einen Umweg fahren. Seit Stunden sehen wir nur noch grün. Auf 75 Prozent der Fläche Finnlands stehen Bäume, hat Daavid in der Schule gelernt, und das scheint immer noch zu stimmen. Schon beim Landeanflug auf Helsinki hat es so ausgesehen, als würden wir mitten im Wald landen. Immer öfter blitzt dazwischen das Blau eines Sees hervor. Je länger wir im Auto sitzen, umso unruhiger rutschen Alina und ich auf der Rückbank umher. „Hoffentlich lohnt sich das“, raunen wir uns auf deutsch zu, „so ein Ritt für anderthalb Tage in einem Holzhaus in der Pampa.“ Die Landschaft, die hier an uns vorüberzieht, stimmt uns versöhnlich. Und immerhin haben wir an das Mückenspray gedacht, vor den Mücken hat man uns gewarnt.

Besonders im Mökki in Finnland braucht man Mückenspray

Über Mittsommer in Finnland besonders wichtig: Genug Mückenspray einpacken

Nach neun Stunden laufen wir zum ersten Mal den Hang von der Hütte zum Wasser hinab. Überall um uns herum ragen Kiefern in den Himmel, unter unseren Füßen knacken Zweige. Die Abendsonne malt helle Flecken auf den Boden, die Sträucher und Bäume. Und dann stehen wir an diesem riesigen See, es gibt kein anderes Haus rundherum, keine anderen Menschen. Wir schauen uns selig an.

Das Mökki steht fast direkt am See

Urlaub mitten in der finnischen Natur

So feiert Finnland die kürzeste Nacht des Jahres 

Lauras und Daavids Freunde sind in einem anderen Auto angereist. Bis jetzt haben wir Salme, Johanna, Onni und Jari nur flüchtig beim Einkauf zwischen Fischtheke und Backstand die Hände geschüttelt. Furchtbar angenehme Leute, wie sich herausstellt. Daavid nagelt riesige Lachsstücken an zwei Bretter und stellt sie am Lagerfeuer auf, Onni hackt selbstvergessen Holz, wir anderen bereiten Salat, Dillkartoffeln und Quark vor. So gut habe ich lange nicht gegessen. Nach dem Essen verteilt Laura Sektgläser, um zwölf stoßen wir an auf die kürzeste Nacht des Jahres.

Lachs am Feuer: Das schmeckt besonders über Mittsommer in Finnland

Gut essen in Finnland: Es gibt Lachs!

Besonders finnisch: Lachs am Feuer

Auch eine Besonderheit im finnischen Sommer: Der Lachs wird gern am Feuer zubereitet

Und dann kommt es mir abhanden, mein Zeitgefühl.

Wir sitzen am Feuer und trinken Dosenbier. Alina und ich denken an unseren Ankunftsabend in Helsinki, als wir gleich in der ersten Bar sieben Euro für ein kleines Bier bezahlt und hysterisch gelacht haben. Und an die Stimmung um uns herum: Es war Mittwoch, null Uhr, die Straßen waren voll und auf der Terrasse der Bar tanzten Finnen zu spanischer Musik auf den Tischen. Keine Spur von nordischer Kühle. „Wir haben ja nicht viel Zeit, den Sommer zu genießen“, sagt Laura, „und darum machen wir das Beste aus den warmen, hellen Tagen.“ Daran ändern die Getränkepreise nichts.

Auch nicht daran, dass die Leute zu viel trinken. Nicht nur, wenn sie ausgehen. Laura erzählt von einer Freundin, die nichts dabei findet, jeden Abend eine Flasche Wein zu leeren. Salme prophezeit, dass an diesem Wochenende, zum Mittsommer in Finnland wieder zehn, fünfzehn Leute sterben, weil sie betrunken baden gehen oder mit dem Auto gegen einen Baum fahren. Das passiert jedes Jahr und nicht immer ungewollt. Wie hat Laura den Stau kommentiert, bei dem wir in der Ferne einen quer stehenden LKW erkennen konnten? „Bestimmt ein Selbstmordversuch. In einen Laster hineinrasen, so machen es ganz viele.“

Johanna sagt, man braucht nur das Radio anzumachen, dann hat man ihn wieder, den Winter mit seiner Dunkelheit und Eiseskälte von Oktober bis April. Finnische Songs handeln meist von Kummer, Einsamkeit, Verlassenwerden, einem gebrochenen Herzen. Oder von Sex. Die anderen geben uns ein paar Kostproben finnischer Lieder, danach grölen wir zusammen „Bohemian Rhapsody“ in die taghelle Nacht. Es ist so hell und still, dass der Wald keine Angst macht. Wir lassen die Türen und Fenster zur Hütte offen. Kurz vorm Einschlafen denke ich an meine Wohnung in Hamburg, in der ich die Fenster nachts schließen muss wegen des Straßenlärms.

Auch besonders finnisch: Samt Bier in die Sauna

Wer braucht schon Strom, denke ich, als Daavid uns am nächsten Morgen (oder ist es Nachmittag?) Kaffee und Pfannkuchen serviert. Auf die kürzeste Nacht folgt der entspannteste Tag des Jahres. Nach dem Frühstück gehen die Männer mit einer Säge in den Wald und kommen mit zwölf schmalen Holzstücken zurück, Daavid malt mit Kohle Zahlen drauf. Mölkky heißt das Spiel, bei dem es darum geht, möglichst viele Pflöcke, besser noch den mit der höchsten Punktzahl, umzuwerfen. Alina und Laura basteln Vastas – Bunde aus frischen Birkenzweigen, mit denen man sich in der Sauna abschlägt, weil sie die Haut reinigen und gut duften. Nebenbei erklären uns die ketterauchenden Finnen („wegen der Mücken“) die Eigenheiten ihrer Sprache: keine Artikel, keine Präpositionen, dafür fünfzehn Fälle. Wir lernen, auf finnisch bis zehn zu zählen, das macht schon allein deshalb Spaß, weil es mit „yksi, kaksi“ losgeht.

Das Mölky-Spiel wird kurzerhand selbstgemacht: Auch eine der finnischen Besonderheiten

Finnische Besonderheiten: Das Mölky-Spiel wird mal eben fix selbst gemacht

Später setzen wir uns mit unserem Bier in die Sauna, die Frauen nach den Männern. Großes Gelächter beim Rauskommen: Wir sind von oben bis unten schwarz. Es dauert eine Weile, bis sich der Ruß von der Haut löst. Irgendwann gehen wir zum Haupthaus zurück, irgendwann gewinne ich im Mölkky, und dann sitzen wir wieder auf der Terrasse und essen Fisch, vielleicht ist es drei, vielleicht auch sechs Uhr morgens, ich weiß es nicht, es kümmert mich nicht.

Die vielen Seen zählen zu den Besonderheiten Finnlands

Einer der unzähligen Seen in Finnland, an denen sich so herrlich die Zeit vergessen lässt

Man kann so viel Zeit haben in anderthalb Tagen, denke ich auf der Rückfahrt, während Alina ihre Mückenstiche zählt. Natürlich hat sich die Fahrt gelohnt, und vielleicht ist das der Trick: nicht immer auf die Uhr zu schauen, nicht immer in Stunden, Tagen, Monaten und Jahren zu denken. Alina kommt auf fünfzehn.

***


Weitere finnische Besonderheiten und Fakten über Finnland

  • Finnland heißt nicht umsonst das „Land der tausend Seen“. Es sind allerdings viel mehr als tausend: Genau 187.888 Seen befinden sich auf finnischem Gebiet, 309 dieser Seen haben eine Oberfläche von mehr als 10 Kilometern.
  • Finnen lieben Kaffee! Nirgends auf der Welt wird mehr Kaffee getrunken als in Finnland: Pro Kopf und Jahr verbrauchen die Finnen rund 12 Kilogramm.
  • Zu den Besonderheiten Finnlands zählt unbedingt auch die finnische Sprache: Mit den Sprachen der skandinavischen Länder Schweden, Dänemark und Norwegen hat sie nämlich nichts gemein. Finnisch ist keine Indo-Europäische Sprache, sondern zählt zur uralischen Sprachfamilie. Im Finnischen gibt es, wie oben bereits erwähnt, 15 Fälle. Kein Wunder, dass die Sprache als relativ schwer zu lernen gilt.
  • In Finnland ist neben Finnisch auch Schwedisch Nationalsprache. Das Schwedische ist dem Finnischen offiziell gleichgestellt. In dem Land lebt eine schwedischsprachige Bevölkerungsminderheit, die einen Teil der finnischen Bevölkerung ausmacht, konkret sind heute fünf bis sechs Prozent „Finnlandschweden“. Sie leben hauptsächlich auf den Åland­inseln, an der Westüste entlang des Österbotten und an der Südküste von Finnland. Es gibt darüber hinaus schwedische Sprachinseln in einigen hauptsächlich finnischsprachigen Gegenden. Ein Beispiel ist die Stadt Espoo, westlich von Helsinki gelegen. Für acht Prozent ihrer Einwohner ist Schwedisch Muttersprache. Ein anderes Beispiel ist Turku im Südwesten: Fünf Prozent der Bewohner von Turku sind schwedischsprachig. Dass das Land zweisprachig ist, geht auf die frühere Zugehörigkeit Finnlands zu Schweden zurück: Vom 12. Jahrhundert bis 1809 war das heutige Finnland ein Teil von Schweden.
  • Auch in Sachen Politik hat das Land im hohen Norden ein paar Besonderheiten vorzuweisen: Finnland war 1906 das erste Land in Europa, das allen Frauen, unabhängig vom sozialen Status, das Wahlrecht einräumte und die Kandidatur für diverse politische Ämter ermöglichte.
  • Um beim Thema Politik zu bleiben: Die Finnen können stolz auf das Bildungssystem in ihrem Land sein. Der Besuch einer Bildungseinrichtung, von Schule bis Universität, ist in Finnland grundsätzlich kostenlos, das gilt auch für Studierende aus anderen Ländern. Alle Kinder können einmal am Tag kostenlos etwas Warmes essen und selbst für Unterrichtsmaterialien müssen die finnischen Schüler:innen nicht zahlen.
  • Stichwort Essen: Einige besondere Süßigkeiten-Kreationen kommen aus Finnland, die berühmteste ist wohl Salmiakki,  salzige Lakritze. Apropos Lakritz: Finnen essen auch mit Lakritz gefüllte Schokolade und trinken Lakritzlikör.
  • Die größte Stadt in Finnland ist mit Abstand Helsinki: Etwa 648.000 Menschen lebten im Jahr 2019 in der Hauptstadt. Die zweitgrößte Stadt ist Espoo mit mehr als 270.000 Einwohnern. Espoo zählt gemeinsam mit Helsinki, Vantaa und Kauniainen zur Hauptstadtregion, in der mehr als eine Million Finnen und damit fast ein Fünftel der Gesamtbevölkerung leben. Die Stadt Turku im Südwesten war früher Finnlands wichtigstes Handelszentrum. Mit knapp 188.000 Einwohnern ist Turku heute die sechstgrößte Stadt inmitten des drittgrößten Ballungsraums.
  • Wer in Finnland Urlaub macht, findet auch ein breites Angebot an Kultur: Allein in Helsinki gibt es zum Beispiel mehr als 70 Museen, im ganzen Land sind es mehr als eintausend. Drei Museen in der finnischen Hauptstadt zählen für Nicolo von nicolos-reiseblog.de zu den Top 10 der Sehenswürdigkeiten in Helsinki.
  • Mehr Tipps zu Reisen und Urlaub im hohen Norden, Infos rund um die finnische Kultur und andere finnische Besonderheiten gibt es zum Beispiel auf den folgenden drei Finnland-Blogs: Finnweh, Finntoch und Finntastic.

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5 Comments
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17. Juni 2015 15:05

wunderschöner artikel über ein wunderschönes land.
mökki hatte ich noch nie, aber auch helsinki finde ich viel relaxter als deutschland!

Simon
26. Juni 2015 19:24

Wow. Das war ein schöner Gedankenausflug! Danke. Finnland klingt sehr interessant. Ich reise auch sehr gerne. War für 13 Monate als Au Pair in Amerika, wo ich auch eine Finnin kennenlernte und seitdem wuchs in mir der Wunsch mir das Land einmal anzusehen, von wem ich so wenig weiß. Mich reizt außerdem die Sprache sehr, wobei sich finnischen Sprachkünste bis jetzt auf “takk!” bzw. “tusen takk” beschränken. Zurzeit absolviere ich ein Praktikum in Baia Mare, Rumänien. Der dritte Monat neigt sich dem Ende zu und bald geht es wieder nach Hause. Auch hier habe ich wieder gemerkt, dass es nicht… Read more »

Kveitejeger
29. Oktober 2020 23:49
Reply to  Susanne

zum Glück hast du das mit dem Norwegisch schon geklärt *lach*… Vielleicht hatte Simon ja eine Norwegerin kennen gelernt? Nicht, dass er nach Suomi reist und eigentlich nach Norge müsste?