Eine Kilimandscharo-Besteigung ohne jegliche Bergsteiger-Erfahrung? Nix für schwache Nerven. Hier erzählt Kerstin (40), was sie zu diesem Abenteuer motiviert, wie sie sich darauf vorbereitet und was sie auf dem fast 6000 Meter hohen Kibo erlebt hat.
Die Idee, den höchsten Berg Afrikas zu besteigen, kam nicht aus heiterem Himmel. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, meinen vierzigsten Geburtstag nicht wie jeden anderen zu feiern, sondern mich einer echten Herausforderung zu stellen. Schon Monate zuvor hatte ich mich gezielt auf die Suche begeben, viel im Internet gelesen und mich bei Freunden umgehört, bis ich irgendwann auf den Kilimandscharo stieß.
Er ist das höchste freistehende Gebirgsmassiv der Welt und eignete sich perfekt für mein Vorhaben. Seine höchste Erhebung, der Kibo, ist ein erloschener Vulkan und gilt als der zugänglichste der „Seven Summits“ – der jeweils höchsten Berge auf allen sieben Kontinenten. Man braucht keinerlei alpine Bergsteiger-Erfahrung und kann ihn ohne Seile und Steigeisen bezwingen. Trotzdem ist das Ganze alles andere als ein Spaziergang. Man muss sich vorbereiten, nur 60 Prozent aller Teilnehmer erreichen am Ende den Gipfel.

Tag 2 der Kilimandscharo-Besteigung. Alle Fotos dieses Beitrags hat Kerstin mir zur Verfügung gestellt
Glücklicherweise habe ich mich auch vorher viel bewegt. Ich arbeite im Führungskräfte-Management in der Energiebranche, das ist oft stressig. Zum Ausgleich mache ich Yoga, gehe im Sommer segeln und tauchen und im Winter snowboarden und Ski fahren. Viel gewandert bin ich aber nie, hohe Berge hatte ich bis dahin auch noch nie bestiegen.
Eine Sache flößte mir zusätzlich Respekt ein: Die Höhenkrankheit, die selbst erfahrene Bergsteiger ereilen kann. Betroffene leiden an Kopfschmerzen, Atemnot und Schwindel und müssen im Ernstfall schnell wieder absteigen, sonst können sich lebensbedrohliche Ödeme im Gehirn und in der Lunge bilden.
Kilimandscharo-Besteigung: Kerstin bereitet sich vor
Vier Monate vor der Reise begann ich, im Fitness-Studio zu trainieren. Bei Karlsruhe, ganz in der Nähe meines Wohnortes, gibt es außerdem ein Reha-Zentrum, das ein spezielles Höhentraining anbietet: Man begibt sich in einen Raum, dem nach und nach der Sauerstoff entzogen wird. Eigentlich dient das der Gewichtsreduktion. Zweimal pro Woche konnte ich dort schon mal vorfühlen, was es bedeutet, sich in über 4000 Metern Höhe zu befinden.
Mein Freund Fabian beschloss, mich zu begleiten. Bis kurz vor der Abreise fuhren wir an den Wochenenden zum Wandern in den Schwarzwald. Ende November lag auf dem Feldberg schon jede Menge Schnee. Am 14. Dezember 2017 flogen wir nach Tansania, einen Tag später, an meinem Geburtstag, begann unsere Kilimandscharo-Besteigung.
Zum Uhuru-Peak, dem Gipfel des Kibo, führen verschiedene Routen. Die meisten Besucher wählen die Marangu-Route, die deshalb auch „Coca-Cola-Route“ genannt wird. Sie gilt als die einfachste und bietet den meisten Komfort, weil man unterwegs in Hütten übernachten kann. Das war mir nicht Herausforderung genug. Ich hatte mich für die Machame-Route entschieden, auch als „Whiskey-Route“ bekannt. Sie ist kürzer und entsprechend steiler und anspruchsvoller. Es gibt auch keine Hütten, geschlafen wird in Zelten.
Unsere Gruppe bestand aus neun Teilnehmern, zwei kamen aus der Türkei, die anderen aus Deutschland und Österreich. Uns begleitete ein 23-köpfiges tansanisches Team bestehend aus einem Koch, zwei Service-Kräften, fünf Guides und 15 Portern, die die Ausrüstung für unser Zeltlager und unser Gepäck den Berg hoch schleppten.
Jeden Morgen wanderten wir nach dem Frühstück gegen halb acht los. Wenn wir aufgebrochen waren, bauten die Porter unser Camp ab. Zwei Stunden später zogen sie vollbepackt und scheinbar mühelos an uns vorüber und hießen uns am frühen Abend in einem neuen längst vollständig aufgebauten Lager willkommen. Unglaublich, wie fit und schnell diese Männer sind.
Landschaftlich ist eine Kilimandscharo-Besteigung ein Traum. Man läuft durch fünf Vegetationszonen, wandert zu Beginn in kurzer Hose und T-Shirt durch den üppigen Regenwald, später durch Steppen, dann durch eine Mondlandschaft aus Sand und Lavagestein, bis man schließlich mit Handschuhen und Skihose zwischen Gletschern im Schnee steht.
Man steigt nach dem Prinzip „walk high, sleep low“ auf, das heißt, man läuft immer ein Stück höher, als das Camp liegt, in dem man die kommende Nacht verbringt, und kehrt dann zu den Zelten zurück. Das ist wichtig für die Akklimatisation.
Und trotzdem macht einem die Höhenluft zu schaffen: Drei Teilnehmer unserer Gruppe mussten leider abbrechen. Auch Fabian gehörte dazu. Schon zu Hause hatte er sich einen hartnäckigen Virusinfekt eingefangen, im Kilimandscharo wurde er mit jedem Tag kraftloser. Am dritten Tag hatte er so starke Kopfschmerzen, dass er beschloss, abzusteigen und sich in einer Lodge zu erholen, bis ich zurückkehre. Wenn einer von uns es nicht schafft, läuft der andere weiter, hatten wir vor der Reise besprochen. Natürlich waren wir traurig.
Die anderen Teilnehmer fingen mich emotional auf. Ich hatte Glück mit der Gruppe: Es war niemand dabei, der sich aufspielte, weil er sportlicher oder erfahrener war, ganz im Gegenteil, alle zogen an einem Strang. Wir fühlten uns auch von unseren Guides gut betreut. Sie achteten akribisch darauf, wer welche Medikamente einnahm und maßen jeden Tag den Sauerstoffgehalt in unserem Blut.
Ab etwa 4000 Metern litt auch ich an heftigen Kopfschmerzen. Zu Hause hatte mich eine Ärztin darauf hingewiesen, dass niedrige Schmerzmitteldosen am Berg kaum etwas bewirken. Ich nehme ungern Tabletten, aber ich sagte mir, dass ich mich in einer Ausnahmesituation befand. Also nahm ich Ibuprophen 600. Zum Glück ging es mir schnell besser, sodass ich mich beim Laufen wieder voll und ganz auf die Atmerei konzentrieren konnte. Man ist einfach ständig außer Atem. „Polepole“, sagten die Guides zu uns, wenn wir nur noch keuchten – das ist Suaheli und bedeutet „Langsam, langsam!“
Wichtig für die Kilimandscharo-Besteigung: gut schlafen, viel essen, langsam laufen
Manchmal lag über Stunden alles im Nebel, sodass man kaum etwas sehen konnte. Während dieser Phasen lief ich regelrecht gegen die Uhr an, schaute dauernd nach, wie spät es ist und wie lange wir noch unterwegs sind. Natürlich habe ich mich oft gefragt, was ich hier eigentlich mache, warum ich mir das antue. Ich kam aber nie an den Punkt, an dem ich ernsthaft darüber nachdachte, aufzugeben. So gut es ging, ignorierte ich die Stimme in meinem Kopf und lief stur weiter.
Die Nächte waren extrem kalt. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt schliefen wir in Schlafsäcken auf drei Zentimeter dicken Isomatten. Trotzdem hatte niemand Probleme einzuschlafen, so fertig waren wir. Gut schlafen, viel essen, langsam laufen – das sind die drei wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bergbesteigung, sagten unsere Guides.
Eine der anstrengendsten Etappen ist die Great Barranco Wall. Wie so vieles im Kilimandscharo hat auch sie einen Spitznamen: „Breakfast Wall“, denn man erklimmt sie gleich nach dem Frühstück, wenn man noch einigermaßen frisch ist. Man steigt über riesige Felsen, so als würde man mit jedem Schritt drei Treppenstufen auf einmal nehmen – und das zwei Stunden am Stück. Sie ist eine gute Generalprobe für den Summit Day, den Tag, an dem man schließlich zum Gipfel aufbricht.
Mein Leben lang werde ich an diesen Tag zurückdenken. Am vierten Abend erreichten wir das Barafu Camp auf 4600 Metern. Hier schickten uns die Guides gegen 19 Uhr zum Schlafen in unsere Zelte. Um 23 Uhr weckten sie uns, damit wir um Mitternacht aufbrechen konnten – bei minus zehn Grad und mit Stirnlampen. Ich trug fünf Oberteile und drei Hosen übereinander. Wir liefen in völliger Dunkelheit los, stundenlang sah ich nichts als ein paar Lichter und die Füße meines Vordermannes im Schnee. Am Summit Day isst man nicht gemeinsam, jeder nimmt zwischendurch einen Müsliriegel oder Energy-Gel zu sich. Es wird auch kaum gesprochen, weil alle zu sehr mit sich selbst zu tun haben. Gegen sechs Uhr früh erlebten wir den Sonnenaufgang kurz vor dem Stella Point, am Kraterrand auf 5756 Metern. Als die Sonne sich endlich über den Hang schob, es ringsherum hell wurde und die Luft sich erwärmte, hatten wir alle einen bitter nötigen Adrenalinschub.
Am Summit Day werden einige Porter zu Guides, sodass jeder Teilnehmer seinen persönlichen Begleiter hat. Mein Guide hieß Kunda. „Schau mal da oben ist der Uhuru Peak“, sagte er zu mir, „meinst Du, Du schaffst es?“ Das Ziel schien so nah. Ich bejahte seine Frage. Wie so oft hatte ich die Entfernung völlig unterschätzt. Ich glaubte, in zehn Minuten da zu sein und brauchte am Ende etwa eine Stunde. Wenn die Luft so dünn ist, kommt man einfach nicht vorwärts. Immerhin hatte ich herausgefunden, welche Technik für mich am besten funktioniert: vorbeugen, viermal einatmen und dann exakt zehn Schritte gehen. Erst atmen, dann laufen, atmen, laufen.
Und schließlich stand ich auf dem Dach Afrikas, in 5895 Metern Höhe, und blickte hinab auf die Wolkendecke, auf den Schnee und die Gletscher. Alles ist weiß von dort oben. Unsere Gruppe verbrachte vielleicht zwanzig Minuten am Uhuru Peak, wir machten Fotos und waren überglücklich. Um diesen Moment angemessen zu würdigen, blieb uns aber kaum Zeit. Man muss zügig wieder absteigen, bevor die letzten Kräfte einen verlassen, sonst wird es zu gefährlich.
Der härteste Teil der Kilimandscharo-Besteigung? Der Abstieg
Und damit begann der anstrengendste Teil der Tour. Die Guides treiben einen an, der Weg ist steil, man muss aufpassen, wo man die Füße hinsetzt. Nachdem wir fast zwölf Stunden durchgehend gelaufen waren, kamen wir mittags wieder im Barafu-Camp an. Dort schliefen wir aber nur eine Stunde, bevor wir weiter mussten.
Mir ging die Anstrengung an die Substanz. Irgendwann begann ich zu taumeln, als wäre ich betrunken. Es stellte sich heraus, dass meine Sauerstoffsättigung nur noch bei bedenklichen 61 Prozent lag. Fünf Minuten bekam ich deshalb Notsauerstoff über eine Maske zugeführt. Der Wert normalisierte sich schnell, aber es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder zu Kräften kam.
Gegen 18 Uhr erreichten wir das Mweka-Camp auf 2800 Metern. Erst dort konnten wir uns ausruhen und Schlaf nachholen, bevor wir am nächsten Tag zum Ausgangs-Gate auf 1800 Metern gelangten, wo Fabian uns in Empfang nahm.
Nach sechs anstrengenden Tagen zum ersten Mal heiß zu duschen und meine Haare zu waschen, war natürlich ein Fest. Erst später machte ich mir klar, dass ich es wirklich geschafft hatte. Dass ich am Summit Day fast zwölf Stunden am Stück gelaufen war, dass ich mich verausgabt hatte wie nie zuvor in meinem Leben und mich dabei über alle Widrigkeiten hinweggesetzt hatte. Das machte mich stolz und demütig.
Etwas gelernt hatte ich auch, nämlich, wie ich mit extremen Bedingungen zurechtkommen kann. Der Trick ist letztlich, ruhig zu bleiben und dann Strategien auszuprobieren, bis eine funktioniert. Vielleicht kann ich das hier und da auf den Alltag übertragen. Diese Erfahrung hat mich echt bereichert. Gut möglich, dass ich mir bald eine neue Herausforderung suche.
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Ein toller Artikel. Aber 6 Tage sind wirklich knapp. Der gesunde Weg um auch spätere Komplikationen zu vermeiden, ist die langsame Vorbereitung. Dann braucht man keine Medikamente und es treten auch keine Kopfschmerzen auf. Die Medikamente können unter Umständen die Warnzeichen der Höhenkrankheiten so verzerren, dass Lebensgefahr besteht. Und die Sauerstoffflasche gereicht bekommen gehört da definitiv dazu.
Hallo Dominik, Danke für den wichtigen Hinweis! Mir schien, die begleiteten Touren (allein ist das, glaub ich, sowieso verboten) sind alle in etwa sechs Tage lang. Mein Eindruck war, dass das nicht ungewöhnlich ist, dass Teilnehmer so zügig rauf- und runterkommen. Hier und da las ich von einem freiwilligen Akklimatisierungstag. Den würdest Du dann sicherlich empfehlen? Ansonsten kann ich nur noch mal betonen, was Kerstin erzählte, nämlich, dass sie die Betreuung durch die Guides gut fand, Sauerstoff regelmäßig gemessen und Medikamenteneinnahme genau dokumentiert wurde. Trotzdem, gut zu wissen, dass aus Deiner Sicht mehr Zeit einzuplanen ist.
Hallo Susanne, Ich kenne es aus eigener Erfahrung und ich habe auch schon Leute mit Höhenkrankheit (mehr als nur Kopfschmerzen) gesehen. Ich empfehle jeden extra Tag, den man bekommen kann. Die Erfolgsraten gehen mit jedem Tag extra drastisch nach oben. Ich habe zahlen vom Kilimanjaro gefunden, die besagen, dass bei 6 Tagen 44% den Gipfel erreichen und bei einer 8 Tagestour 85%. Meine persönliche Empfehlung wäre sich z.B. am Mount Meru bei Arusha vorzubereiten. Das ist perfektes Höhentraining dort. Danach kann man auch eine kürzere Tour am Berg machen. Natürlich sind die Betreuung und Medizinchecks durch die Guides sehr wichtig… Read more »
Die Zahlen, die Du gefunden hast, decken sich etwa mit 60 Prozent hier im Text (mit denen alle gemeint sind, die es versuchen, unabhängig vom zeitlichen Rahmen). Es ist sehr interessant, wie stark die Komplikationen sinken, wenn man sich mehr Zeit nimmt und insofern ein wertvoller Hinweis. Und selbstverständlich ist damit auch nicht zu spaßen. Noch mal Danke für Deine Einschätzung!
Das klingt sehr beeindruckend. Ich liebäugele auch ein wenig mit diesem Abenteuer und bin mir sehr unsicher. Vielleicht eine doofe Frage: Was gibt es beim Aufstieg eigentlich zu essen, denn ich bin Vegetarier…
Liebe Julia, vielen lieben Dank! Nö, keine doofe Frage. Ich muss nur selbst erst mal bei Kerstin nachfragen. Ich meld mich dann bei Dir!
Liebe Julia, Kerstin sagt, das ist gar kein Problem, Es gibt jeden Tag reichlich frisches und leckeres Essen auch für Vegetarier.
Hallo Susanne,
vielen Dank fürs Teilen deines tollen Reiseberichtes.
Ich kann nur zustimmten, der Trek auf den Kilimanjaro ist atemberaubend und eine klasse Erfahrung.
Viele Grüße aus Hamburg
Christian
Hallo Susanne,
ich war sehr beeindruckt von deiner Reisebeschreibung und ich beschäftige mich auch seit geraumer Zeit damit den Kili zu besteigen.Ich würde auch die Tour bevorzugen die Du gemacht hast. Meine Planung ist, die Besteigung in den nächsten 2 Jahren zu machen. Bei welchem Anbieter hast Du denn gebucht und wie lange vorher? Da man auch immer abenteuerliche Aussagen zu den Trinkgeldern der Guides hört, wieviel Trinkgelder gibt man denn?
Liebe Christine, freut mich. Es liegt nur ein kleines Missverständnis vor: Ich bin Susanne, Betreiberin des Blogs. Die Frau, deren Geschichte ich hier in der Ich-Form aufgeschrieben habe, heißt Kerstin (wie es im Vorspann auch steht). Ich frage gern mal bei ihr nach und melde mich dann. Viele Grüße!
Liebe Christine, Kerstin hat über ein Reisebüro gebucht, das mit örtlichen Anbietern zusammenarbeitet. Sie hat schlussendlich ca drei Monate vorher bei „Tanasania Experience“ gebucht. An Trinkgeldern kamen noch mal etwa 150 Euro hinzu, vor Ort gab es wohl Empfehlungen, wer wie viel bekommen sollte. Grüße!