Zuletzt aktualisiert am 1. September 2022 um 5:45
Wellenreiten als Lebenshilfe: An der Westküste von Mexiko, in einem kleinen Ort namens Sayulita, stand ich zum allerersten Mal auf dem Brett. Was ich beim Surfenlernen statt Surfen gelernt habe. Eine Geschichte.
Ich habe mich vergooglet. Sonst stünde ich jetzt nicht vornübergebeugt um mein Gleichgewicht ringend neben einem leicht entnervten Fahrer in einem Rumpelbus mit offenen Türen, ich hätte den 70-Liter-Rucksack nicht mehr auf dem Rücken und den Blick nicht noch immer angestrengt auf fremde Münzen in meiner Hand geheftet. 35 Pesos – und nicht 20 – kostet die Fahrt vom Flughafen in Puerto Vallarta nach Sayulita. Passend, por favor.
Besonders gründlich habe ich ihn nicht geplant, meinen Trip nach Mexiko. Ich wollte nur mal eine Woche raus aus dem Regen in Vancouver. Mich treiben lassen. Sa-yu-li-ta. Zuerst hat es mir der Name angetan. Ein kleines Städtchen an Mexikos Pazifikküste, in dem man Surfen lernen kann. Zehn Minuten nach der Google-Bildersuche (Bunte Wimpel über schmalen Straßen. In Dschungel eingerahmte Strandbuchten.) war der Flug gebucht.
Im Hostel werde ich hineingespült in eine Gruppe von Menschen, die zur selben Zeit hier stranden. Jeder für sich allein. Jeder von ihnen inspirierend. Weil sie so viel richtig machen im Leben. Indem sie es genießen.
Wir sind in Mexiko!
Da ist Saskia aus Freiburg mit ihrer ansteckenden Begeisterung. Mehrmals, wenn wir beim Flanieren durch die Kopfsteinpflasterstraßen im Ort hinter die anderen zurückfallen, greift sie nach meinem Arm, schaut mir in die Augen und sagt: „Susanne! Wir sind in Mexiko!!!“
Da ist Amber aus British Columbia, die beim Schnorcheln ihren Nasenring verliert. Sie hat ihn jahrelang getragen und trauert ihm höchstens vier Sekunden lang nach. Im Wasser streckt Amber die rechte Faust aus und ruft „Superman!“, wenn die Wellen sie erfassen.
Jenny aus San Francisco zieht sich hin und wieder zurück, um E-Mails für die Arbeit zu schreiben. Der neue Job ist ihr wichtig. Aber sie kann abschalten. Und umschalten. Auf albern. Mit „Dude“, fängt sie viele ihrer Sätze an, wenn sie sich uns wieder anschließt. Jennys Filmzitate-Repertoire ist unerschöpflich.
Und da ist Jesse aus New York. Selbstbewusst bis in die Haarspitzen. Ständig ziehen die Frauen im Hostel seine braunen Korkenzieherlocken lang und lassen sie springen. Zu Hause fährt Jesse zum Surfen mit Wetsuit und Brett mit der U-Bahn von Brooklyn nach Queens. In Sayulita kehrt er jeden Morgen um neun das erste Mal vom Strand zum Hostel zurück. Da ist er schon zwei Stunden lang gesurft. Klar, deswegen ist er ja hier.
In Mexiko surfen lernen. Vier Superhelden. Und ich.
Zusammen machen wir uns auf den Weg an einen abgelegenen Strand. Keine anderen Touristen, keine Verkäufer. Wir schauen den Wellen zu. Immer mehr, immer höher werden sie. „Lasst uns Bodysurfen!“, schlägt Amber vor. Ein paar Minuten später stehen wir zu fünft im Wasser und surfen ohne Brett. Die anderen tun es Amber gleich. Welle für Welle. Wenn die vier Superhelden doch mal heillos untergehen, tauchen sie schreilachend wieder auf und laufen gleich wieder zurück ins Meer.
Aber ich?
Ich tue mich schwer. Nie bin ich schnell genug, immer im falschen Moment an der falschen Stelle. Wenn die Welle bricht, stehe ich ihr im Weg, statt lässig unter ihr hindurchzutauchen. Die Brandung drückt und reißt mit immer mehr Wucht, ich werde herumgewirbelt, schlage Purzelbäume. Mir geht die Kraft aus. Salz brennt in meinen Augen, in meiner Nase, in meinem Rachen. Ich gebe auf. Und beobachte lieber vom Ufer aus die Kamikaze-Pelikane, die das Meer nach Beute abscannen und sich dann senkrecht hineinstürzen.
Bis die anderen aus dem Wasser kommen. „Der Trick“, sagt Jesse und wirft seine nasse Mähne nach hinten, „ist, nicht dagegen anzukämpfen. Du musst dich einlassen auf die Wellen.“ Genau wie auf Veränderungen. Genau wie auf Gefühle, denke ich. Es ist, wie wenn das Leben Wogen schlägt: Dann musst du es fühlen wollen, dich einlassen, mitgehen. Denn Stehenbleiben ist Schmerz. Und Schmerz ist kein Gefühl. Schmerz ist nur Widerstand, das „Nein!“ zu allem, was ist.
Surfen lernen heißt: gleich wieder aufspringen
Am nächsten Tag wollen wir richtig Surfen lernen. Ich bin mäßig motiviert. Jesse hat sich bereit erklärt, Amber, Jenny, Saskia und mir eine Surfstunde zu geben. „Paddeln, du musst paddeln!“, ruft er, als ich den richtigen Moment schon wieder zu verpassen drohe. Natürlich falle ich die ersten drei Male sofort wieder vom Brett. Jesse sieht meine Entmutigung, das „Ich habe es doch gleich gesagt!“ in meinen Augen.
„Wie oft bist du runtergefallen?“ fragt er mich.
„Dreimal.”
„Und wie oft bist du wieder aufgesprungen?“
„Viermal.“
„Ganz genau!“, sagt mein Surflehrer und grinst. Er hat mein Brett längst wieder in die richtige Richtung gedreht. Mit der flachen Hand klopft er auf die Mitte und bedeutet mir, mich schnell wieder draufzulegen.
Denn da kommt sie schon, die nächste Welle.
Und sie ist groß. Ich höre auf Jesses Startsignal, paddle mit den Armen los und drehe mich nicht mehr um. Ich spüre, wie die Welle mich erfasst. Ganz ruhig bleibe ich dieses Mal. Sie trägt mich. Und trägt mich. Sie trägt mich fast bis zum Ufer. Erst im kniehohen Wasser wirft sie mich sachte ab. „WOOOOOOHOOOOOHOOOOOOO!“, höre ich Jesses sich überschlagende Stimme. Ich drehe mich um. Er hat beide Daumen nach oben gestreckt. „Suzanna, das war GEIL!!!“, schreit er. Ich lächle und winke ihm zu.
Bei den nächsten Malen fliege ich früh vom Brett. Aber ich lande immer auf den Füßen. Und versuche es gleich noch mal.
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In das Gefühl surfen zu lernen und es klappt einfach nicht und dann erwischt man doch die Welle und is so euphorisch und dann macht man weiter, bis man völlig KO is.… kann ich mich völlig hineinfühlen. :-D So ging es mir die letzen Monate in Tofino, nur das wir uns immer noch in einen Wetsuit quetschen mussten, weil es etwas kälter als in Mexico is. Aber es lohnt sich! Habe jetzt 1 Jahr Canada (mostly allein) hinter mir und im Juli gehts weiter, von Mexico nach Panama. Ich habe überhaupt kein Problem damit allein zu reisen (meine Familie schon eher),… Read more »
Hallo Nicole, ooooh, Tofino, das hab ich leider nicht mehr geschafft, obwohl ich auch eine ganze Weile in BC war. Ganz genau: weiter so!
Hallo Susanne,
ich hab Deinen Beitrag mit Interesse gelesen. Fand ich gut!
Ich möchte auch gerne mal nach Mexico und hatte über Sayulita schon das eine oder andere gelesen. Was ich nicht möchte, ist wieder ein Surfcamp oder eine
Surfschule in dem man zum 5. Mail erzählt bekommt, wie man ein TakeOff macht. Irgendwann muss man ja auch mal alleine auf die Pinne kommen, nur steht man dann vor dem Problem, wie an die Surfspots kommen?
Wie hast Du den Weg an die Spots gefunden? War das eine Surfschule die Du dir
gesucht hast?
Danke, schöne Grüsse und Hang Loose !
Oli
Hallo Olli,
Du, da hab ich absolut überhaupt keinen Plan von. Wie in der Geschichte beschrieben, haben wir auf eigene Faust Bretter geliehen und das privat probiert mit Hilfe eines befreundeten Reisenden, der es gut konnte. Das waren und blieben auch die einzigen zwei, drei Stunden meines Lebens – aus mir ist keine Surferin geworden. Wir waren mit den Brettern am Hauptstrand von Sayulita. Auf jeden Fall gibt es an diesem Ort etliche Läden, Schulen und begeisterte Surfer. Ich denk, da findest Du was Passendes. Viele Grüße!