Zuletzt aktualisiert am 1. September 2022 um 6:19
Wer Riga erkunden und verstehen will, sollte sich zum „Eckhaus“ in der Brīvības Iela begeben. In dem Gebäude verbarg sich einst das KGB-Hauptquartier. Besucher bekommen hier eine Führung durch das dunkelste Kapitel Lettlands Geschichte, dessen Nachwirkungen in der Hauptstadt nicht zu übersehen sind. Ein Besuch im „Eckhaus“ – und weitere unvergessliche Sehenswürdigkeiten in Riga.
Riga Sehenswürdigkeiten: Das „Eckhaus“ – Eine Geschichte
Es ist Zufall, dass wir Riga von seiner morbiden Seiten kennen lernen, dass wir erst den Verfall und dann die Pracht in Lettlands Hauptstadt entdecken: Mein Freund kommt aus Kathmandu, aus Neugier haben wir kurz vor unserer Ankunft online nach einem nepalesischen Restaurant gesucht und beschlossen, gleich am ersten Abend hinzugehen.
Gebäude in Riga: Die Stadt ist voller „Lost Places“
Von unserem Hotel nahe dem Bahnhof machen wir uns auf den Weg zum „Himalaya Kitchen“, gute halbe Stunde zu Fuß, sagt Google Maps. Wir lassen die Altstadt links liegen und laufen an der „Milda“ vorbei, der Freiheitsstatue Lettlands, ein 19 Meter hoher Obelisk auf einem riesigen Sockel, an dessen Spitze eine Frauenfigur drei Sterne zum Himmel reckt.
Wir folgen der Brīvības Iela, dem „Freiheitsboulevard“, der sich mehr als 12 Kilometer vom Zentrum bis an den Stadtrand zieht. Hier reihen sich opulente Jugendstilgebäude aneinander. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Jugendstilbauten als in Riga, sie machen fast ein Drittel aller Gebäude in der Innenstadt aus, habe ich vor unserer Reise gelesen.
Nicht gelesen habe ich, dass hier so viele Wohnungen leer stehen: Die größte Stadt des Baltikums ist voller „Lost Places“, so nennt man – pseudoenglisch – die unbewohnten, dem Verfall geweihten Orte, die scharenweise Fotografen aus aller Welt anziehen und von denen manche auch in Riga Sehenswürdigkeiten sind. Einige der mondänen Wohnhäuser in der Brīvības Iela sehen ausgebrannt aus, als hätten riesige Flammen die Fassaden unter einer dicken Schicht Ruß eingeschlossen. Oft sind noch die Erdgeschosse als Geschäftsräume vermietet, doch über den beleuchteten Ladenzeilen klaffen leere Fenster wie schwarze Löcher, die alles Leben verschluckt haben.
Es ist Juli und der Sommer in ganz Nordeuropa heiß wie lange nicht. Obwohl es am Nachmittag heftig geregnet hat, herrschen in Riga 25 Grad. Trotzdem beschleicht mich ein Gefühl von Winter: Es fällt mir leicht, mir vorzustellen, ich würde fröstelnd an einem grauen Januartag hier entlang spazieren, so kalt und abweisend wirken die schmutzigen Wände, die kaputten Fensterrahmen, der bröckelnde Putz. Anblicke, die sich uns später auch anderswo an den Rändern der Altstadt bieten.
Zum touristischen Stadtkern von Riga, den wir an den kommenden Tagen ausgiebig erkunden, passen sie nicht: In der Altstadt leuchten makellose Fassaden in weinrot, maigrün und hellblau gegeneinander an. Bars und Restaurants, von denen viele auf belgisches Bier oder mittelalterliches Flair setzen, sind schick und teuer, Plätze und Parks sauber und üppig bepflanzt.
Ich krame in meinen Kenntnissen zur Geschichte dieses Landes: Der mittlere der drei baltischen Staaten erlangte nach jahrzehntelanger russischer Besetzung 1991 offiziell seine Unabhängigkeit und trat 2004 der EU bei. 2014 später war Riga Kulturhauptstadt Europas, im selben Jahr wurder der Euro als Währung eingeführt. Seitdem geht’s hier wirtschaftlich stetig bergauf. Dachte ich. Und lese später: Zwar stimmt es, dass sich die Wirtschaft seit der Unabhängigkeit zügig entwickelt hat, sie ist aber auch von sehr niedriger Basis gestartet. Bis heute liegt das monatliche Durchschnittseinkommen bei 670 Euro. Und: Junge, gut ausgebildete Letten vergleichen den Lebensstandard in ihrem Land nicht mit dem zu früheren Sowjet-Zeiten, sondern mit dem in anderen europäischen Ländern. Seit ihnen der europäische Arbeitsmarkt offen steht, wandern sie in Scharen ab, die meisten nach Großbritannien, Irland und Deutschland.
Bedrückende Sehenswürdigkeiten in Riga: Das „Eckhaus“ und sein Gefängnis
Auf dem Weg zum Restaurant kommen wir an jenem Haus vorbei, das wie kein zweites Zugang schafft zum Lettland von gestern und heute. Mir fällt es wegen der Schilder zu beiden Straßen hin auf: „Exhibition – History of KGB Operations in Latvia“ steht auf ihnen geschrieben. Das „Eckhaus“, wie die Einheimischen den sechsstöckigen Prachtbau in der Brīvības iela 61 nennen, war jahrzehntelang der gefürchtetste Ort Rigas. Hier befand sich vom zweiten Weltkrieg bis 1991 das KGB-Hauptquartier samt Gefängnis im Kellergeschoss. Erst 2014 hat man das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, seitdem gibt es Führungen durch die Zellen, die Vernehmungsräume, die Innenhöfe und die Erschießungsanlage – und damit durch das dunkelste Kapitel der lettischen Geschichte.
Hinter den schweren Stahltüren ist die Luft stickig, blättert Farbe von den Wänden, rosten Schlösser und Gitter vor sich hin. Der Guide, der uns gemeinsam mit etwa 15 anderen Touristen Einlass zum Gefängnistrakt gewährt, ist keine dreißig Jahre alt und heißt Martin. Er blickt seine Zuhörer aus hellen Augen an und lässt keine der Schreckensgeschichten aus, die sich hier abgespielt haben. Mehrmals bittet er Eltern, ihren Kindern die Ohren zuzuhalten.
Martin erzählt, wie angebliche Klassenfeinde von ihrer Arbeit oder mitten in der Nacht aus ihren Häusern hierher verschleppt, verhört, gefoltert oder gleich erschossen wurden. Ihre Vergehen? Einige wurden allein deshalb verhaftet, weil sie sich für französische Literatur interessierten. Ein LKW, mit dem die Leichen später abtransportiert wurden, hielt während der Hinrichtungen mit laufendem Motor im Hof und übertönte die Schussgeräusche. Mehr als 150 Menschen hat die russische Staatssicherheit hier 1940 und 1941 umgebracht. Die anderen Häftlinge wurden nach Sibirien deportiert oder als „Inoffizielle Mitarbeiter“ angeworben. Allein in der Nacht vom 14. Juni 1941 hat man mehr als 15.000 Letten von Riga nach Sibirien verbannt, bis 1949 waren es 88.000. Zurückgekehrt ist kaum jemand.
Die Nazis, die das Land ab 1941 besetzten, nutzten die Gräueltaten der Sowjets nur zu gern für ihre eigene Propaganda aus, bis die russische Staatssicherheit 1944 ihre Macht über Lettland zurückerlangte. Hinrichtungen fanden nach dem Krieg zwar nicht mehr statt, doch an den unmenschlichen Haftbedingungen änderte sich nichts. Man quälte die vermeintlichen Staatsfeinde Tag und Nacht mit grellem Licht, von dem sie Migräne bekamen, und gab ihnen verdorbenes Essen. In völlig überfüllten Zellen diente ein einziger Eimer Dutzenden Insassen als Toilette.
Erst im Mai 1990, als Lettland seine Unabhängigkeit erklärte, verließen die letzten Häftlinge das Eckhaus von Riga
50 Jahre Unterdrückung haben alles verändert und wirken lange nach. „Vor 1940 war Lettland reich. Richtig reich!“, sagt Martin und fährt mit verbitterter Stimme fort: „Ohne die deutsche und sowjetische Besetzung würde es uns heute so gut gehen wie den Finnen.“ Stattdessen muss das Land um seine Existenz fürchten, wenn weiterhin so viele junge Letten ihrer Heimat den Rücken kehren. Um 27 Prozent ist die Einwohnerzahl Lettlands seit 1990 gesunken – so einen Bewohnerschwund hat es in keinem anderen Land in Europa gegeben.
Schon lange gibt es in Riga Bemühungen, den leerstehenden Raum in der Stadt sinnvoll für kreative und gemeinnützige Projekte zu nutzen. Und mittlerweile soll sich die Einwohnerzahl zumindest in der Hauptstadt wieder leicht erholt haben. Bleibt zu hoffen, dass die Bevölkerungszahl in dem kleinen Land bald wieder auf über zwei Millionen steigt. Und dass das Leben zurückkehrt in die unzähligen leeren Wohnungen in der Brīvības iela und anderswo.
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Anmerkung: Einen Eindruck vom Eckhaus bekommt Ihr auch hier, in Form einer gelungenen virtuelle Tour durch die Sehenswürdigkeit.
Weitere Sehenswürdigkeiten in Riga
Essen in Riga - Speisen wie im Mittelalter
Mitten in der Altstadt von Riga, in der Rozena 1, liegt das Rozengrāls. Hinter seiner grün umrankten Holztür am Eingang verbirgt sich ein Juwel: Treppab geht es in einen Gewölbekeller mit vier Meter hohen Steinbögen – und hinein in eine Schänke im Mittelalter. Tatsächlich war dieser Ort schon damals ein Gasthaus, die erste Erwähnung stammt aus dem Jahr 1293.
Den Raum erleuchten fast ausschließlich Kerzen, das Personal trägt mittelalterliche Kleidung und spricht die Gäste mit „My Lady“ und „My Lord“ an. Da wir spontan am späten Abend kamen und schon gegessen hatten, bestellten wir nur zwei Honigbiere. Und danach zwei weitere. Das Essen auf den anderen Tischen sah fantastisch aus und meine Online-Recherche ergab, dass das Restaurant in Riga für sein Essen überwiegend sehr gut bewertet wird. Die Preise im Rozengrāls liegen einen Tick überm Durchschnitt. Die stimmige Atmosphäre und der tadellose Service rechtfertigen das aber.
Jugendstil total in der Alberta Iela
Es lohnt sich, in aller Ruhe durch diese Straße zu schlendern: Die Alberta Iela ist bekannt für ihre Jugendstilbauten. In Nummer 12 befindet sich auch Rigas Jugendstil-Museum: Hier führt eine Wendeltreppe (Sie allein ist schon eine Sehenswürdigkeit!) hinauf in eine komplett im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts eingerichtete Wohnung, in der Besucher auch Kostüme aus der Zeit anprobieren können. Natürlich gibt’s auch jede Menge Hintergründe rund um die Epoche.
Drei Brüder in Riga besuchen
Wie, was, wen besuchen? Als „Drei Brüder“ bezeichnet man den ältesten Wohnhauskomplex in Riga, der aus drei sich eng aneinanderschmiegenden Häusern besteht. Die Gebäude in der Altstadt (Maza-Pils-iela Nr. 17, Nr. 19 und Nr. 21) stammen aus unterschiedlichen Epochen und sollen von Handwerksmeistern bewohnt worden sein. Das schmalste Gebäude ist das älteste, es soll schon 1490 erbaut worden sein. Der Bruder in der Mitte stammt aus dem Jahr 1646 und das Gebäude ganz rechts aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Häuser-Ensemble zerstört, aber nach dem Krieg hat man die Drei Brüder wieder aufgebaut. Heute beherben diese Sehenswürdigkeiten in Riga das Architekturmuseum und die Denkmalschutzbehörde.
Die Stadt von oben sehen von der Akademie der Wissenschaften
Das Hochhaus, das die „Akademie der Wissenschaften“ beherbergt, macht schon von Weitem Eindruck. Mit dem Fahrstuhl fährt man hinauf in den 14. Stock, läuft zwei weitere Stockwerke zu Fuß – und dann liegen einem auf der Aussichtsplattform in 68 Metern Höhe Riga und die Daugava zu Füßen.
Shopping in Riga - Einkaufen auf dem Zentralmarkt
In den 30-er Jahren galt der Zentralmarkt neben dem Bahnhof als der modernste seiner Art in ganz Europa. Noch heute sind seine fünf Hallen mit Gemüse, Fleisch, Fisch, Milchprodukten, Gewürzen, Backwaren, Pflanzen, Handarbeiten und vielem mehr etwas Besonderes. Der Zentralmarkt gilt nicht nur als eine von Rigas Sehenswürdigkeiten für Touristen. Viele Einwohner Rigas erledigen ihre Einkäufe regelmäßig hier. Kein Wunder: Die Stimmung ist gut, die Preise moderat, die Auswahl gigantisch. Und: Viele Stände auf dem Zentralmarkt bieten Gelegenheit, lettische Köstlichkeiten zu probieren. Wer bei Shopping eher an Kleidung denkt, wird vielleicht in den Geschäften in der Krisjana Barona Iela und der Tērbatas Iela fündig.
Baden flanieren am Strand von Jūrmala
Achtung: Einen Ort namens „Jūrmala“ gibt es nicht. Wer sich mit dem Zug vom Rigaer Hauptbahnhof auf den Weg zum Strand machen will, sucht eine gleichnamige Haltestelle daher vergeblich. Jūrmala heißt die ganze Küste nordwestlich der lettischen Hauptstadt, Ihr steigt am besten an der Haltestelle Majori aus. Von dort ist es nicht weit bis an den kilometerlangen Ostseestrand. Was mir sehr an Jūrmala gefiel: Die Strandpromenade ist hübsch und gepflegt, dabei aber herrlich bodenständig und unprätentiös.
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