Zuletzt aktualisiert am 1. September 2022 um 5:56
Im Elephant Nature Park nahe Chiang Mai im Norden Thailands finden misshandelte, traumatisierte Dickhäuter ein Zuhause. Gäste können eine Tour zur Elefanten-Auffangstation unternehmen und dabei viel über eine artgerechte Umgebung für die Tiere lernen. Eine Geschichte über ein großartiges Tierschutzprojekt – und der Versuch einer Wiedergutmachung.
Der Abspann läuft. Nancy erhebt sich vom Beifahrersitz und dreht sich zu uns um. Die junge Thailänderin in Jacke und Schirmmütze aus Jeans ist heute unser Tourguide. „Nessy“ hatten wir alle verstanden, als sie sich uns vorstellte, kaum dass wir in den Transporter gestiegen waren. Nancy lächelte verlegen und klärte das Missverständnis auf. Jetzt klappt sie den kleinen Bildschirm im Mittelgang ein und sieht uns eindringlich an.
„Elephant never forget“, sagt sie und fängt den Blick der Amerikanerin neben mir auf, die noch immer die Hand vor den Mund hält.
Wir sind unterwegs zum Elephant Nature Park, einer Zufluchtsstätte für misshandelte und verletzte Elefanten, eine Autostunde nördlich von Chiang Mai. Das Video erzählt vom früheren Leben der Tiere: Elefanten in Ketten ziehen Baumstämme steile Hänge hinauf und führen Kunststücke im Zirkus vor. Ein Jungtier wird zum Betteln durch die Menschenmenge auf Chiang Mais Nachtmarkt getrieben und schwingt nervös den Kopf vor und zurück. Ein Bulle führt noch Jahre nach seiner Befreiung die Bewegungen aus, zu denen er unter Schlägen mit einem Haken beim Holztransport gezwungen wurde. Von Sequenz zu Sequenz wächst der Kloß in meinem Hals. „Es ist wahr, was man über Elefanten sagt“, setzt Nancy nach, „sie sind ungeheuer klug. Und sie vergessen nichts. Niemals.“
Elephant Nature Park: Zufluchtsstätte im Norden Thailands
Draußen zieht Thailands bergiger, satt-grüner Norden vorbei. Drinnen wird unser Tourguide wieder verlegen. Mehrmals entschuldigt sich Nancy für ihr schlechtes Englisch, während sie von der Entstehung des Parks erzählt: Eine Frau namens Lek Chailert, aufgewachsen in einem Dorf in der Nähe, hat es sich zur Aufgabe gemacht, missbrauchte Elefanten von ihren Besitzern freizukaufen, ihre Wunden zu versorgen und ihnen ein Leben ohne Qualen zu schenken. Nie wieder würden die Tiere im Elephant Nature Park arbeiten und Tricks vorführen müssen, nie wieder von Touristen geritten. Anders als in so vielen anderen Parks im Land.
Elephant Nature Park: Hier leben die Tiere in Frieden
Dass einmal genügend zahlende Besucher kommen – so richtig wollte niemand daran glauben, als Lek ihr Projekt 1995 ins Leben rief. Bis heute haben 64 Elefanten in der 100-Hektar-großen Anlage im Norden Thailands ein Zuhause gefunden. Und Reisende in Chiang Mai hören von allen Seiten die dringliche Empfehlung, eine Tour in den Elephant Nature Park zu buchen. „Da wird nicht geritten. Und Besucher packen mit an.“ Das hat auch mich überzeugt.
Ich habe nämlich etwas wieder gut zu machen.
Bali, ein Tag im Oktober 2013. „Elephant Keeper“ steht auf dem T-Shirt des Mahouts, der auf dem Kopf des Tieres sitzt. Hinter ihm tauschen meine Freundin Lara und ich im Holzsattel ratlose Blicke aus. Auf der Hälfte der asphaltierten Strecke steigt der Mann ab und macht Fotos, der Elefant hebt auf Kommando seinen Rüssel. Erst danach darf das Tier aus einem betonierten Wasserloch trinken. Von hier aus können wir schon das Pärchen sehen, das nach uns auf ihm reiten wird.
Auf meinen Wangen brennt Scham. Wie immer wenn ich daran denke.
„Wenn wir die Elefanten zu uns holen, sind sie schwer traumatisiert“, sagt Nancy, als wir das den Elephant Nature Park erreichen. Eine Milisekunde lang frage ich mich, ob es nicht gefährlich ist, ihnen so nahe zu kommen, bis der Frieden dieses Ortes den Gedanken einfach wegschwemmt. Ich stehe im zu allen Seiten offenen Haupthaus. Vogelstimmen dringen an mein Ohr, als ich die ersten Dickhäuter gemächlich in der Ferne durch das Grün laufen sehe.
Minuten später steckt Jun Peng ihren Rüssel durch die Streben der Umrandung und tastet den Holzboden ab. Nancy zeigt uns, wie wir die 75-jährige Elefantendame richtig füttern. Jun Peng ist blind, wie so viele Tiere hier. Auf Nancys Stichwort hebt sie den Rüssel, ich lege ein Melonenstück von unten hinter die Öffnung, fühle ihren Griff und sehe es in ihrem Maul verschwinden. Und gleich noch eins. Und noch eins.
Viele der geretteten Tiere im Elephant Nature Park sind blind
Es ist heiß. Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken, als wir uns von hier aus in Bewegung setzen. Unser Tourguide spannt zügig einen Schirm auf. „Ich weiß, ihr findet das verrückt. Aber ich will nicht braun werden“, sagt sie und kichert. Langsam laufen wir hinter Nancy über die Wiese, bleiben immer wieder stehen, um die Tiere zu beobachten, die in Grüppchen beieinanderstehen und fressen. „Die Elefanten suchen sich hier ihre Familie aus“, erklärt unser Guide jetzt wieder mit fester Stimme. „Ihre Freundschaften halten ein Leben lang. Wird ein Baby geboren, kümmern sich alle Weibchen um das Kleine. Stirbt ein Tier, trauert die ganze Gruppe zusammen.“
Sie erzählt uns die Geschichten der einzelnen Elefanten, jede von ihnen herzzerreißend. Lucky ist Zeit ihres Lebens im Zirkus aufgetreten und vom grellen Scheinwerferlicht erblindet. Jokia musste hochschwanger Baumstämme schleppen und verlor ihr Baby am Hang. Ihr Besitzer erlaubte ihr nicht, nach dem Kalb zu sehen und schoss mit einer Schleuder auf sie, als sie sich weigerte, weiterzuarbeiten. Dabei verlor sie auf einer Seite ihr Augenlicht, wenig später stach er ihr das andere Auge aus. Sri Prae trat bei der Arbeit an der Grenze zu Myanmar auf eine Landmine, die ihren rechten Hinterfuß zerfetzte. Bis heute kann sie ihn nicht richtig aufsetzen.
Aber Lucky wurde herzlich von der Herde im Elephant Nature Park aufgenommen, als sie nervös an ihrem ersten Tag allein auf dem Gelände stand. Jokia hat eine beste Freundin gefunden, Mae Perm, die ihren Rüssel um den ihren schlingt und sie durch den Park geleitet. Und neben Sri Prae, der Elefantendame mit dem kaputten Fuß, steht Navann, zwei Jahre alt. Ihr Baby. Bei ihrer Ankunft wusste niemand, dass sie trächtig ist.
Sri Prae schwingt den kaputten Fuß vor und zurück, die andern Elefanten stellen sich schützend vor Navann, sie alle fressen unablässig Blätter und Zweige vom Boden. Hinter uns tobt ein Jungtier mit einem Autoreifen im Schlamm, in der Ferne kratzt sich ein Dickhäuter an einem Baum.
Elephant Nature Park: Die Besucher helfen mit
Eine halbe Stunde später stehen wir mit kleinen rosa Eimern neben den Elefanten im Fluss und schütten Wasser auf ihre Körper, je drei Leute links und rechts. „Wie ihr seht, lieben sie die Abkühlung“, ruft Nancy uns vom Ufer zu. Und tatsächlich: Die Elefantenkuh in unserer Mitte wirkt glücklich und zufrieden. Ihr Schwanz schwingt hin und her, die Ohren flattern gleichmäßig.
Es gibt immer Liebe, denke ich, als wir im Gras sitzen und drei Elefanten im Fluss beobachten. Immer wieder gleiten sie sanft ins Wasser und berühren einander mit dem Rüssel.
Es wird immer Liebe geben, auch wenn es kein Vergessen gibt.
***
Elephant Nature Park: ein paar mehr Infos
- Die Anlange ist ganzjährig geöffnet
- Eine Tour zum Elephant Nature Park kann kurzfristig von einer Vielzahl von Reisebüros in Chiang Mai gebucht werden
- Die Tagestour kostet 2500 THB
- Möglich ist auch, eine Nacht vor Ort zu schlafen und zwei Tage im Elephant Nature Park verbringen. Eine Übersicht zu den angebotenen Trips gibt es hier.
- Längerfristige Freiwilligenarbeit im Elephant Nature Park ist ebenfalls eine Option, mehr dazu hier.
Saddle off! Bitte nicht auf Elefanten reiten!
- Einen tollen Beitrag zum Thema mit vielen Hintergrundinformationen und hilfreichen Links hat Beatrice von Reisezeilen geschrieben. Ihren Beitrag findest Du hier.
- Hier noch ein paar weitere Gedanken zum Thema: Idealerweise findet zwischen Touristen und Elefanten gar keine direkte Interaktion statt, das heißt, Reisende verzichten am besten nicht nur auf alle Angebote, bei denen Elefanten geritten werden und Shows aufführen, sondern auch auf solche, bei denen Besucher die Tiere füttern, baden und anfassen. Der Kontakt mit den Tieren beläuft sich bestenfalls darauf, sie in freier Wildbahn zu beobachten, so empfehlen es auch zahlreiche Tierschutzorganisation und Reiseveranstalter, denen am Herzen liegt, dass die Tiere artgerecht behandelt und Tierschutzprojekte möglichst nachhaltig gestaltet werden.
- Im Elephant Nature Park, wo Gäste die Tiere durchaus berühren, füttern und baden dürfen, leben allerdings Dickhäuter, die ihre Fähigkeit, in der Wildnis zu leben, aufgrund der erlittenen Misshandlungen und Behinderungen verloren haben. Ohne menschliche Hilfe sind die Tiere nicht überlebensfähig. Die Rettung der Elefanten aus der Gefangenschaft und ihre (medizinische) Versorgung im Park ist extrem kostenintensiv. Allein schon die benötigten enormen Futtermengen – Elefanten fressen bis zu 300 Kilogramm am Tag – kosten Unmengen Geld. Das Vorbereiten des Futters ist noch dazu eine enorm aufwändige, tagesfüllende Aufgabe. Deshalb ist eine solche Auffangstation auf die Gelder und die Hilfe von Touristen und Freiwilligen angewiesen.
- Leider nennen sich in letzter Zeit vermehrt Einrichtungen „sanctuary“ („Auffangstation“), die diesen Namen nicht verdienen. Wie Besucher seriöse Einrichtungen erkennen, ist in diesem Artikel (englisch) zusammengefasst: Wichtig ist unter anderem, dass der Kontakt zu den Tieren limitiert wird, das heißt, dass Touristen die Elefanten zumindest den Großteil der Zeit nur beobachten, ohne mit ihnen zu interagieren. Weitere Anhaltspunkte: Es kommen keine Elefantenhaken und Ketten zum Einsatz und den Tieren stehen jederzeit Wasser, Futter und schattige Plätze zur Verfügung. Zuchtstationen sind nur dann vertretbar, wenn die Tiere später ausgewildert werden oder zumindest frei leben können. Im Elephant Nature Park sind all diese Vorraussetzungen erfüllt, deshalb wird die Einrichtung von Experten und Reiseveranstaltern weiterhin empfohlen.
- Touristisch ausgebeutet werden Elefanten vor allem in Asien, etwa im Chitwan Nationalpark in Nepal, um nur eines von unzähligen Beispielen zu nennen. Eine Liste empfehlenswerter und nicht empfehlenswerter Einrichtungen gibt es hier.
- Reisende, denen beim Besuch einer Auffangstation Verstöße auffallen, sollten diese der Agentur melden, bei der sie gebucht haben. Wichtig ist außerdem, andere Touristen zu warnen.
- Ich freue mich über jeden Hinweis und jeden Diskussionsbeitrag zum Thema in den Kommentaren!
Dir hat dieser Beitrag gefallen? Ich freue mich, wenn Du ihn teilst! Wenn Du über neue Beiträge informiert werden möchtest, melde Dich gern für ein Abo per E-Mail hier auf der Seite an.
Kaffeekasse
Seit 2015 stecke ich Herzblut in diese Seite, die werbefrei ist – und bleiben soll. Wenn Dir meine Beiträge gefallen und Du mich beim Betrieb des Blogs unterstützen möchtest, würde ich mich riesig über einen virtuellen Kaffee freuen. Einfach hier klicken, dann kommst Du zu Paypal. Dankeschön!
Wunderschöner, wenn auch teilweise sehr trauriger Artikel. Ich hoffe in Zukunft werden mehr solcher Projekte in Thailand gestartet und unterstützt. Vielleicht können die Touristen dort die Elefanten besser kennen lernen und gehen nicht mehr auf Elefanten Treks.
Hallo Georg, danke sehr!
Ja – das hoffe ich auch. Sicher kann nicht jeder Park (das habe ich mir auch schon sagen lassen müssen) von heute auf morgen so werden wie der Elephant Nature Park: Viele Menschen in Thailand, hat man mir erklärt, leben von dieser Industrie, nicht jede Anlage sei so schön in den Bergen im Norden samt Fluss gelegen, und würde man das Reiten etc. verbieten, könnten viele Parks nach wenigen Monaten dicht machen. Und doch denke ich, jeder Tourist trägt Verantwortung und muss sich informieren.
Kaum vorstellbar, was diesen Tieren angetan wurde. Umso schöner ist es zu sehen, dass sich nun um diese Tiere gekümmert wird. Ein schöner Bericht.
Lieben Dank! :)
Ein spannender und bewegender Artikel! Schön zu sehen, dass sich ein sorgsamer und respektvoller Umgang mit den Tieren dort bewährt hat. Bei meinem nächsten Hagenbeck Besuch werde ich bei diesen sanften Riesen mal wieder etwas länger verweilen. Der Elephant Nature Park ist jedenfalls notiert ;)
Hallo Malte, vielen Dank!
Immer wieder traurig über die Schicksale der Elefanten zu hören und wie Mensch oft mit Tier umgeht. Danke für den Bericht, sehr schön geschrieben!
Hallo Aaron, danke sehr, das freut mich.
Danke für diesen tollen Artikel!
Auf der Such in einer Thailandgruppe nach Elephant Nature Park bin ich auf deinen Beitrag gestoßen und er hat mich nochmals überzeugt, dass es gut war diesen Park auszusuchen. In 2 Tagen fliegen wir das erste mal nach Thailand und Anfang Mai besuchen wir den Park, dank dir steigt meine Vorfreude jetzt wieder! :)
LG
Sarah
Hallo liebe Sarah,
oh, großartig, jetzt bin ich neidisch! Jap, eine super Wahl war das, ich bin sicher, es wird Euch gefallen. Habt viel Spaß und lass mich gern mal wissen, wie es war! Liebe Grüße zurück und gute Reise!
Liebe Susanne,
ich habe gerade deinen Artikel gelesen - toller Artikel! Ich bin überzeugt davon, dass langsam ein Umdenken in den Köpfen vieler stattfindet und solche Artikel dazu beitragen. Ich hatte mal wieder Gänsehaut, obwohl ich mich schon viel mit dem Thema beschäftigt habe.. Danke für den Link :)
Und was die Wiedergutmachung angeht, bin ich mir sicher, dass sich der/die ein oder andere für einen Besuch im Elephant Nature Park entscheidet statt auf einem Elefanten zu reiten.
Ganz liebe Grüße
Jana :)
Liebe Jana,
vielen lieben Dank für Deine Rückmeldung! Hoffentlich hast Du Recht. Ich empfehle diesen Park jedenfalls so oft wie möglich.
Grüße,
Susanne
(Jana hat übrigens hier auch über das Elefantenreiten in Thailand geschrieben.)