Zuletzt aktualisiert am 29. Oktober 2023 um 15:40
Nach zweieinhalb Jahren bin ich aus Kathmandu nach Hamburg zurückgekehrt. Manchmal habe ich noch die Nepalbrille auf. Wie es sich anfühlt, wieder zu Hause zu sein und was mir in Deutschland bisher so aufgefallen ist.
Wenn ich eines nicht vermisst habe, dann ist es dieses Wetter. Ein Samstagvormittag im Februar, der Wind zerrt an den Bäumen und pfeift pausenlos ums Haus, dicke Regentropfen klatschen an mein Fenster. Eigentlich müsste ich kurz raus, ein Paket zur Post bringen, aber man muss sich ja die Laune nicht mit aller Macht versauen. Lieber bleibe ich hier und erzähle, wie es ist, wieder zu Hause zu sein, zurück in Deutschland, nach mehr als zweieinhalb Jahren in Kathmandu.
Rückkehr aus Nepal: warme Wohnung, gerade Straßen
In Nepals Hauptstadt sind die Winter freundlicher, heller, an manchen Tagen steigt die Temperatur auf fast 20 Grad. Dafür friert man sich drinnen einen ab: Schlecht isolierte Wände, Fenster mit fingerdicken Ritzen, Zentralheizungen gibt es nicht. In unserer Wohnung war es besonders schlimm: Sieben Grad zeigte das Thermometer im Wohnzimmer früh am Morgen manchmal an. Um heiß zu duschen, musste man mindestens eine halbe Stunde vorher den Boiler anstellen. Und dann hoffen, dass der Strom nicht ausfällt. Wie oft habe ich auf der Terrasse das Gesicht in die Wintersonne gehalten und mir vorgestellt, wie ich in Deutschland in eine Badewanne mit mollig-warmem Wasser steige. Wie ich den Thermostaten an der Heizung aufdrehe. Und zum Händewaschen den Warmwasserhahn. Jetzt, da ich all das wieder habe, wundere ich mich: Ich mache mir mein Wärme-Privileg zwar immer wieder klar, Freudentänze führe ich aber keine auf. Sind es am Ende doch andere Dinge, die für mich Lebensqualität bedeuten, oder ist meine Erinnerung an die elendige Friererei in Kathmandu schon verblasst?
Tatsächlich sind es andere Momente, in denen ich das Gefühl habe, aus einer anderen Welt heimgekehrt zu sein. Ich laufe durch die Straßen und denke: Alles so schön gerade hier. Alles hat eine klare Form und Funktion, jede Kreuzung, jedes Gebäude, jede Grünfläche. Nichts Überflüssiges liegt im Weg, kein Kabel dengelt einem plötzlich vor der Nase herum, die Dinge stehen und hängen an ihrem Platz. Überall sind Gehwege vorhanden, breit und zweckmäßig sind sie. Im Zentrum meiner Heimatstadt Greifswald entdecke ich ein Schild: „Schäden an Geh- und Radwegen“ steht darauf. Ich suche den Weg ab. Ja, gut, einige Stellen sind ein bisschen uneben, ein paar wenige Platten kaputt. Aufgefallen wäre mir das von allein wohl nicht. Ich mache ein Foto und schicke es meinem Mann, der noch in Kathmandu ist. Er schickt drei Lach-Smileys zurück.
In den ersten Wochen habe ich ihm ständig Fotos geschickt. Im Supermarkt fotografierte ich ungläubig Preise ab. Kaffee im Angebot für 2,99 Euro das Pfund. Wie ist das möglich? Nassfutter für Katzen, Riesenauswahl, zu haben für fünfundzwanzig Cent das Tütchen. In Kathmandu haben sie uns das Vierfache gekostet. Wein, Käse, Duschgel, Klopapier. Hier in Deutschland allerhöchstens halb so teuer. Manchmal, wenn ich ein Foto oder ein Video abgeschickt habe und kurze Zeit später wieder auf mein Handy schaue, staune ich: immer noch nicht gesendet. Schlechter Empfang. Okay. Das kenne ich gar nicht mehr.
Die Welt vor der Haustür empfinde ich als relativ still. An vielbefahrenen Straßen fällt mir die Regelmäßigkeit der Geräusche auf. Und die Abwesenheit eines ganz bestimmten. Niemand hupt! Dieses markerschütternde Signal, das mir in Kathmandu so verhasst war, das mich so oft aus kaum einem Meter Entfernung, abgegeben von einem Motorradfahrer in Eile oder vor einer Kurve, zusammenzucken ließ – endlich, endlich bin ich es los! Motorräder und -roller scheint es in Deutschland gar nicht zu geben. Habe ich seit meiner Rückkehr im Oktober überhaupt mal eins gesehen? Wenigstens geparkt und abgedeckt? Ich kann mich nicht daran erinnern. In Nepal beherrschen sie die Straßen. Ich sehe die Kreuzung im Stadtteil Thapathali noch vor mir, höre noch die strengen Pfiffe aus den Trillerpfeifen der Polizistinnen in blauen Uniformen, die den Verkehr hier regeln. Vor Corona bin ich täglich über die Bagmati Bridge auf diese Kreuzung zugelaufen, rechts ging es von hier zu dem Sprachinstitut, an dem ich als Deutschlehrerin gearbeitet habe. Hebt die Polizistin auf ihrem Podest ihre grüne Kelle in Richtung der Wartenden, rollt die Karawane an. Motorräder und Scooter zuerst, dahinter kommen Autos, Busse, LKWs.
Mit der U1 statt mit dem Zweirad in die Stadt
Mit dem Motorrad war ich gern unterwegs. Nein, selbst gefahren bin ich nicht, dafür ist meine Fahrangst zu groß - generell, nicht nur in Kathmandu. Mein Mann fährt dafür ausgezeichnet und lässt die Hupe Hupe sein. Jede Fahrt war ein Erlebnis. Immer spielten sich Szenen ab, die in Deutschland ganz und gar unvorstellbar sind. Etwa in der Rush Hour im Stau. Eine vierköpfige Familie dicht an dicht auf dem Motorrad neben uns. Ein Beifahrer mit einer Kommode auf dem Schoß, mit ausgestreckten Armen hält er sie fest und lehnt sein Gesicht seitlich dagegen. Affen, die an Kabeln turnen. Eine Ziege auf der Rückbank eines Taxis. Manchmal suchte ich das Motorradmeer, in dem wir standen, nach anderen Beifahrern mit Helm ab. Fast immer war ich die einzige, die einen trug, denn die Helmpflicht gilt in Nepal nur für Fahrer. Wenn im Sommer der Monsunregen auf die Stadt prasselte, packten wir ein schwarzes Cape ein, durch das wir beide unsere Köpfe stecken konnten. Ich erinnere mich an so eine Fahrt durch dunkle Straßen, wie Batman und Robin flatterten wir durch die Nacht.
Hin und wieder habe ich ein Pathao gerufen. Das ist das „Uber“ von Kathmandu, nur dass man anstelle eines Autos auch ein Zweirad buchen kann. Pathao gibt es zum Festpreis, der Betrag steht fest, wenn man die Fahrt mit der App bestellt. Das Diskutieren – kaum ein Taxifahrer stellt sein Taxometer an – entfällt. Bucht man einen Scooter oder ein Motorrad, steigt man wenig später bei fremden Leuten auf. Und hofft, dass alles gut geht. Bei mir ging immer alles gut. Pathao gibt es erst seit einigen Jahren im Kathmandutal, es hat sich sehr schnell etabliert.
In Hamburg, wo ich inzwischen wieder wohne, nutze ich die Öffentlichen. Verlässlich bringt mich die U1 in Richtung Zentrum. „Please change here for town hall and Alster boat trips“, sagt eine Frauenstimme am Jungfernstieg. Es sind dieselben irreführenden Ansagen und dieselbe Stimme wie vor zweieinhalb Jahren. Nur eine Durchsage ist neu: „Bitte beachten Sie: In Bussen und Bahnen ist das Tragen einer FFP2-Maske Pflicht.“
Wie Corona über die Welt kam, habe ich von Nepal aus erlebt. Ein Jahr nach dem Start der Impfkampagne vor Ort sind in Nepal erst 55 Prozent der Menschen doppelt geimpft. Die mRNA-Impfstoffe, von denen man sich in Deutschland über weite Strecken sogar einen aussuchen konnte, sind in Nepal noch immer nicht für die breite Masse verfügbar. Und hier schmeißen sie jetzt Moderna weg. Seit ich im März 2020 Nachrichten aus der Heimat las, laut denen Menschen sich im Supermarkt um Klopapier kloppten, habe ich viele Male den Kopf geschüttelt.
Bergblick und Meerweh
Einige Wochen während der Pandemie durften wir in Kathmandu nur stundenweise das Haus zum Einkaufen verlassen. Den Rest des Tages sollten wir uns zu Hause aufhalten. Viel Zeit habe ich deshalb auf unserer Dachterrasse verbracht. Mit einem Podcast im Ohr bin ich täglich auf und ab gelaufen, acht Schritte vor, acht Schritte zurück, den Blick auf den Himalaya am Horizont gerichtet. Wenn man ihn denn sehen konnte. An manchen Tagen sah man wegen der dicken Luft nur wenig. Besonders schlimm war es im März 2021: Tagelang hing eine graue Decke über Nepals Hauptstadt, weil der Rauch von Waldbränden ins Tal geweht war. Der Air Quality Index, den ich regelmäßig oben rechts auf der Startseite der Kathmandu Post checkte, stieg auf Werte bis weit über 400, “gut” ist die Luft nur bis maximal 50. Die Farbe, in der der Wert abgebildet wird, wechselte von rot (ungesund) zu lila (sehr ungesund) zu dunkelrot (gefährlich) und Kathmandu war ein paar Tage die Stadt mit der schlechtesten Luft weltweit.
Die Luft ist nicht immer so miserabel. Sie ist aber auch kaum jemals gut. Nur in den Monsunmonaten im Sommer sind die Werte akzeptabel, weil der Regen die Dreckpartikel wegspült. Hier in Hamburg zeigt mir der Air Quality Index meistens eine Zahl im grünen Bereich. Bevor ich in Kathmandu lebte, habe ich mich dafür nicht sonderlich interessiert. Jetzt weiß ich es zu schätzen, dass die Luft, die mich umgibt, mir nicht gefährlich werden kann.
Das Panorama von unserer Terrasse an klaren Tagen – weiße Gipfel hinter grünen Hügeln, die das Kathmandutal einrahmen – hat mich immer wieder umgehauen. Wenn am Morgen die Sonne schien und der Himmel blau war, ging ich als erstes hoch, um die Berge zu bestaunen. Nun hängt der Ausblick hier als Foto an der Wand.
Doch so sehr mich ihr Anblick auch faszinierte, irgendwann hatte ich Meerweh. Nepal ist von Land umschlossen. Es gibt Seen, aber keine Küste, keinen Strand. Wenn ich auf dem TV-Bildschirm heranrollende Wellen sah und kreischende Möwen hörte, dann wünschte ich mich sofort an diesen Ort. In Greifswald fuhr ich an den Hafen im Fischerdorf Wieck, kaum dass ich einen Tag wieder zu Hause war. So richtig am Meer bin ich bisher noch nicht gewesen. Dafür wird es jetzt wirklich mal Zeit. Aber dann bitte ohne Regen.
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Übrigens: Wenn Du hier klickst, findest Du alle Beiträge, die ich bislang auf diesem Blog über Nepal verfasst habe: Geschichten über Kathmandu und meine bisherigen Reisen durch Nepal, gespickt mit Infos zu Sehenswürdigkeiten und Tipps. Interessierst Du Dich vor allem für die nepalesische Hauptstadt, kannst Du auch direkt hier die Kategorie „Kathmandu“ aufrufen.
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Susanne, du kannst einfach toll schreiben! <3
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