Zuletzt aktualisiert am 29. Oktober 2023 um 15:37
Streetart zählt nicht zu den Dingen, die man für gewöhnlich mit Kathmandu in Verbindung bringt. Dabei gebührt Nepals Hauptstadt für ihre vielfältige Straßenkunst viel mehr internationale Bekanntheit: Unzählige Werke zieren die Wände und Mauern der asiatischen Metropole, von kleinen Stencils bis zu großflächigen Murals. Sie verschönern die zugebaute Stadt – und sind erstaunlich eindringlich.
Ein Tag in Kathmandu reicht schon und man wird mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Kunst im öffentlichen Raum stoßen. Streetart gibt es in Nepals Hauptstadt überall, im Touri-Viertel Thamel und um den Durbar Square herum und noch mehr an den Mauern am Rande des Standzentrums. Spätestens wenn Nepal-Reisende die direkt südliche angrenzende Stadt Lalitpur (besser bekannt unter dem Namen Patan) besuchen, werden sie das ein oder andere großflächige Gemälde oder kompakte Stencil entdecken.
Besonders viel Kunst hat Lalitpur in den (auch bei Expats beliebten) Vierteln Kupondole, Jawalakhel, Sanepa und Jhamsikhel zu bieten. Stellenweise erstrecken sich die Werke hier über Dutzende Meter Mauer. Doch auch um den berühmten Patan Durbar Square herum und anderswo im historischen Stadtkern der ehemaligen Königsstadt prangen fantastische Bilder an den Wänden.
Streetart in Kathmandu: kritisch, deutlich, vielfältig
Wer die Graffiti genauer anschaut, stellt fest: Sie sprechen eine deutliche Sprache. Besonders viele machen auf die Nöte von Frauen, Kindern und Minderheiten aufmerksam und fordern Hilfe und Schutz für sie. Häufig geht es auch um gesellschaftliche Toleranz, Tier- und Umweltschutz und die nepalesische Identität.
Seit ich im März 2019 nach Kathmandu gezogen bin, entdecke ich von Monat zu Monat immer mehr Kunst am Straßenrand – und was ich entdecke, lässt mich oft nicht mehr los. Früh war mir deshalb klar, dass ich einmal ausführlich über Streetart in Kathmandu schreiben würde. Inzwischen ist mein Artikel zum Thema im Rahmen meiner Nepal-Kolumne bei reisen Exclusiv erschienen. Darin geht es auch ein wenig um die Geschichte der Streetart in Kathmandu und ihre Bedeutung für Nepals Hauptstadt.
Damals habe ich viele Fotos gemacht, von denen nur ein Teil im genannten Beitrag veröffentlicht wurde. Die besten der übriggebliebenen zeige ich hier auf meinem Blog. An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Ich habe mich bei jedem einzelnen Werk bemüht, die Urheber:innen herauszufinden und gebe sie hier wieder, soweit sie mir bekannt sind. Wer Tipps hat und mehr weiß, gebe mir bitte in einem Kommentar oder per E-Mail Bescheid!
Kunst für die Rechte und den Schutz von Frauen
Die Situation von Frauen in Nepal ist ein immer wiederkehrendes Motiv der Streetart in Kathmandu. Thematisiert werden Abtreibung, Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen.
In der Pulchowk Road, die aus Kathmandu nach Lalitpur hineinführt, beginnt etwa auf Höhe des „Hotel Himalaya“ eine über die Länge eines Fußballfeldes bemalte Mauer – das größte Mural in ganz Nepal. Die Mauer im Stadteil Kupondole zeigt liegende Frauen und Frauengesichter, Pflanzen und Tiere, unter anderem einen Pfau und einen Wolf. Auch der Mund auf dem Beitragsbild ganz oben befindet sich hier. Zwischen den Bildern stehen Begriffe wie „Würde“, „Respekt“ oder „Vergebung“ in nepalesischer Sprache.
„Neglected“ („Vernachlässigt“) heißt das Gesamtwerk, das auf eine Idee des Künstlers Benjamin Swatez zurückgeht. Er hat es im Jahr 2018 gemeinsam mit der mexikanischen Künstlerin Dolores Maritina, ihrer Tochter Andrea Meral, dem Paubha-Maler Lok Chitrakar und dem Kalligraphen und Streetartist Bimal Bolakhe aus Nepal an die Mauer gebracht.
Streetart in Kathmandu und das Schicksal der Badis
„Neglected“ ist den Badi-Frauen gewidmet. Badis sind Dalit, „Unberührbare“, also Angehörige einer in Nepal und Indien am unteren Ende der sozialen Hierarchie angesiedelten Kaste. Auch innerhalb der Kaste der Unberührbaren sind die Badis die rangniedrigste Bevölkerungsgruppe. Es gibt heute offiziell etwa 38.000 Badis im Westen von Nepal, wobei Badis selbst betonen, ihre Volksgruppe sei eigentlich wesentlich größer, viele Angehörige seien aber umgezogen und haben sich neue Identitäten zugelegt.
Konkret soll die Mauer an die „Badi-Bewegung“ von 2007 erinnern: Im August 2007 machten sich Hunderte Badi-Frauen von ihrer Heimat im Westen von Nepal auf den Weg in die Hauptstadt Kathmandu. Dort protestierten sie 48 Tage lang (und am Ende leicht bekleidet) vor einem Regierungsgebäude für Anerkennung, Hilfe und Schutz sowie den Zugang zu Bildung und Arbeit. Bis dahin waren fast alle Badi-Frauen darauf angewiesen, sich zu prostitiuieren, um ihre Familien zu ernähren. Andere Möglichkeit zum Geldverdienen blieben ihnen verwehrt, auch ihre Männer fanden nirgendwo Arbeit.
Ich habe versucht, herauszufinden, was sich seit 2007 für die Badi-Frauen verbessert hat: Die Regierung stellte damals einen 26-Punkte-Plan zur sozialen Integration der Badis auf. Die Implementierung ist aber bis heute höchstens teilweise geglückt. Es gibt jetzt Hostels für Mädchen, Bildungsangebote und Hilfen durch Organisationen, aber die Diskriminierung der Badis und die Stigmatisierung der Frauen als Prostituierte hält noch immer an. Wie viele Badi-Frauen sich weiterhin prostituierten, war zumindest 2013 laut dieser sehenswerten Dokumentation unklar. Kinder von Prostituierten bekamen bis dahin trotz geänderter Gesetzeslage weder automatisch die nepalesische Staatsbürgerschaft noch eine Geburtsurkunde, die sie brauchten, um eine Schule besuchen oder ein Bankkonto eröffnen zu können. Viele Mädchen aus der Badi-Community sind außerdem dem Sexhandel zum Opfer gefallen und in Nachbarländer verkauft worden.
Der aktuellste englischsprachige Bericht zur Situation der Badis in Nepal, den ich gefunden habe, ist ein Beitrag in der Kathmandu Post vom März 2019. Auch er spricht Bände davon, dass ihre Not bis heute groß ist.
Die „Wall of Hope“-Kampagne
Die Mauer in der Pulchowk Road ist ihrerseits Teil der „Wall of Hope“-Kampagne, die im Jahr 2013 von „Human Rights Film Focus Nepal“ (HRFFN) ins Leben gerufen wurde. Unter der Leitung von Rachiv Dangol sind bis heute mehr als 350 Murals in Nepal entstanden, die ein Ende der Gewalt gegen Mädchen und Frauen fordern.
Es gibt in Kathmandu eine Vielzahl weiterer Werke, die die Situation von Frauen thematisieren und ihre Hilflosigkeit und Unterdrückung eindringlich porträtieren. Mehrfach zu finden sind Graffiti und Stencils, die dazu mahnen, Schwangeren eine sichere Abtreibung zu ermöglichen.
Streetart gegen Kinderarbeit
In Geschäften, auf Baustellen oder in der Landwirtschaft: Immer wieder übernehmen in Nepal Kinder Arbeiten zum Broterwerb statt zur Schule gehen oder spielen zu können. In Kathmandu arbeiten sie häufig im öffentlichen Nahverkehr. Sie trommeln die Passagiere zusammen, rufen Passanten im Vorbeifahren die Haltestellen zu und sammeln das Fahrtgeld ein. Hier und da prangert Streetart in Kathmandu Kinderarbeit an.
Streetart in Kathmandu: die nepalesische Identität
Streetart in der Hauptstadt widmet sich häufig auch Nepal und dem Nepalesischsein. Es geht um Kultur, um Religion und um die Probleme des Landes. Graffiti, die in irgendeiner Form das religiöse Erbe des Landes aufgreifen, haben übrigens die längste Überlebensdauer.
Ein Teil der Streetart in Kathmandu beschäftigt sich auch mit Nepals bewegter Vergangenheit, die von einem bis 2006 anhaltenden zehnjährigen Bürgerkrieg und instabilen Regierungen geprägt ist. Im Ringen um ein neues Grundgesetz legten während des Bürgerkriegs und auch in den darauffolgenden Jahren Generalstreiks (sogenannte „Bandhas“ oder „Bandhs“) das Land regelmäßig lahm. Straßen wurden blockiert, Geschäfte, Fabriken, Schulen und Universitäten geschlossen. Wer sich den angeordneten Schließungen widersetzte, dem drohte Gewalt von der jeweiligen Oppostionspartei, die ihre Forderungen per Zwangsstreik durchdrücken wollte. Während eines Bandhas kam oft das ganze öffentliche Leben im Kathmandutal und manchmal im ganzen Land für einen oder mehrere Tage zum Erliegen.
Sneha Shrestha bringt Nepal an die Wände dieser Welt
Für meinen Beitrag über Streetart in Kathmandu habe ich auch eine international erfolgreiche Künstlerin aus Kathmandu treffen können: Sneha Shrestha, die in der Kunstwelt als „Imagine“ bekannt ist. Sie bringt Gedichtzeilen, Sprüche und einzelne Wörter in ihrer Landessprache und in Devanagari-Schrift an die Wand. Die Ästhetisierung der nepalesischen Schrift, in der auch Sanskrit geschrieben wird, ist Snehas Markenzeichen. Ein weiteres ist die häufige Verwendung der Farbe Orange. Beides sind für die Künstlerin, die in Harvard studiert hat und in Boston lebt, Repräsentation von Nepal, wobei Orange an die Ringelblumen erinnert, die man in Nepal so häufig sieht.
Sneha Shrestha hat mitlerweile riesige Wände auf der ganzen Welt gestaltet und mit Reminiszenzen an ihr Heimatland versehen. Regelmäßig kehrt die Künstlerin aber in ihre Heimatstadt zurück und hinterlässt bei ihren Besuchen Kunst im öffentlichen Raum. Zuletzt hat sie eine riesige Mauer im Stadtteil Hattisar bemalt.
Zum Schluss ein Mural vom „Sattya Media Arts Collective“, einer Künstlervereinigung, die mit ihrer Aktion „Kolor Kathmandu“ im Jahr 2012 vielen Menschen Kunst zugänglich gemacht und entscheidend dazu beigetragen hat, dass Streetart in Kathmandu heute eine so wichtige Rolle spielt.
Streetart in Kathmandu und anderswo: Linktipps
Mehr über das „Sattya Media Arts Collective“ und die Aktion „Kolor Kathmandu“, die der Streetart in Kathmandu den Weg geebnet hat, kann man in dieser Dokumentation erfahren.
Streetart gibt es natürlich auch anderswo in Nepal, zum Beispiel in Pokhara, der zweitgrößten Stadt des Landes und in Dhulikhel, einer hübschen Bergstadt, die als Ausflugsziel von Kathmandu beliebt ist. Noch mehr Fotos von Streetart in Kathmandu, Pokhara und Chitwan hat diese Seite.
Wer sich generell für Straßenkunst interessiert, findet auf dem Blog teilzeitreisender.de eine umfangreiche Übersicht über Streetart in aller Welt.
Und falls Ihr mal in Berlin seid: Gabriele und Michael von hierdadort.de sind durch Berlin-Kreuzberg flaniert und haben sich mit den Murals in ihrem Kiez beschäftigt. Dabei herausgekommen ist ein umfangreicher, informativer Beitrag mit tollen Fotos samt Karte zum Nachspazieren.
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Liebe Susanne, das ist ein superspannendes Thema. Hätten Kathmandu bislang nie mit Streetart verbunden. Danke!
Danke Euch! Ja, es wird auch stetig mehr hier.