Zuletzt aktualisiert am 1. September 2022 um 6:04
Auswandern aus Deutschland: „Das ist kein Hippie-Traum“, sagt die Journalistin Christiane Sternberg (51) im Interview mit „Flügge“. Sie selbst hat Deutschland vor zehn Jahren verlassen und ist nach Zypern umgezogen. Nun hat sie einen Ratgeber geschrieben, in dem sie erklärt, was man vor dem Auswandern aus Deutschland beachten muss und wie der Neustart gelingt.
(Beitragsfoto: © CIPS / Marcos Gittis)
Auswandern aus Deutschland: Keine Seltenheit
Auswandern aus Deutschland und an seinem Sehnsuchtsort ganz von vorn anfangen. Dort leben, wo andere Urlaub machen. Für viele Menschen bleibt das zeitlebens ein Traum. Doch pro Jahr kehren immerhin laut Statistik rund 25.000 Staatsbürger ihrer deutschen Heimat langfristig den Rücken – dann allerdings nicht, um ein entspannteres Leben zu haben, sondern in vielen Fällen, um ihre Karriere voranzutreiben. Diesem Beitrag von Spiegel Online zufolge sind 70 Prozent der Menschen, die aus Deutschland auswandern, Akademiker:innen und die Mehrheit von ihnen zwischen 20 und 40 Jahre alt. Und: Seit den Achtziger Jahren steigt die Zahl derer, die diesen Schritt wagen, kontinuierlich an.
Zielländer: Wohin zieht es die meisten Deutschen?
In den vergangenen zehn Jahren (ab 2009) war die Schweiz das wichtigste Zielland bei Auswanderung aus Deutschland. Auf den folgenden Rängen kommen die USA und Österreich. Großbritannien liegt schließlich auf Platz vier der beliebtesten Zielländer. Und welches Land folgt dann? Eine Übersicht über die Top 50 der Zielländer (zumindest im Jahr 2018) hat auswandern-info.com. Unter anderem sind auch Spanien, Australien, Thailand, Portugal, Italien und Kanada in den Top 20.
Interview: Was muss man beim Auswandern aus Deutschland beachten?
Auch die Journalistin und Reiseführer-Autorin Christiane Sternberg hat den Schritt gewagt: Mehrfach war sie mehrere Wochen beruflich auf Zypern gewesen und hatte über das Leben auf der geteilten Insel und den EU-Beitritt der Republik Zypern 2004 berichtet. Vor zehn Jahren zog sie schließlich gemeinsam mit ihrem Mann, einem Fotografen, in die Inselhauptstadt Nikosia. Mit ihrem Buch „Die Fibel für Auswanderer: Ihre Checkliste für den Neuanfang“ geht sie das Gedankenexperiment „Auswandern aus Deutschland“ zunächst Schritt für Schritt mit ihren Leser:innen durch und bietet auch eine ganz konkrete Checkliste zum Abhaken an, wenn es dann ernst wird. Im Interview erklärt sie, welche Fragen Menschen, die ihre Heimat ebenfalls verlassen wollen, sich stellen und was sie beachten sollten.
Flügge: Warum haben Sie beschlossen, einen Ratgeber für Auswanderer zu schreiben?
Christiane Sternberg: Zypern ist eine Urlaubsinsel. Wenn man hier lebt, kommt man mit vielen Touristen ins Gespräch. Das läuft oft auf die Frage „Und in welchem Hotel sind Sie untergebracht?“ hinaus. Wenn ich dann antworte „Nein, nein, ich lebe hier!“, ähneln sich die Reaktionen in den meisten Fällen. Die Leute finden das interessant und toll. Sie fragen aber immer auch, ob es nicht aufwändig ist, auszuwandern und ob ich kein Heimweh habe. Am häufigsten höre ich: „Und was macht man dann?“ Es scheint grundsätzlich die Annahme zu gelten, dass jemand, der auswandert – insbesondere in ein Urlaubsgebiet – ein Aussteiger ist. Dabei ist Auswandern kein Hippie-Traum und auch nicht die Verlängerung des Urlaubs, sondern die Verlagerung des Alltags in andere Umstände. Das möchte ich mit meinem Ratgeber verdeutlichen. Außerdem gebe ich Hilfestellung bei diesem Schritt und nenne Faktoren, die man sich im Vorfeld überlegen und die man beachten sollte, wenn man auswandern möchte.
Flügge: Was bewegt Menschen dazu, ihre Heimat für immer verlassen zu wollen?
Christiane Sternberg: Wenn es nicht die Liebe ist, sind es oft die Lebensumstände, in denen jemand zu Hause steckt. Häufig gibt es zuvor irgendeinen Lebenseinschnitt, zum Beispiel eine Trennung oder den Verlust des Jobs. Viele wünschen sich einen Neuanfang, sie möchten anderswo von vorn beginnen und etwas Neues probieren.
Flügge: Unter welchen Bedingungen kann das gelingen?
Christiane Sternberg: Wenn man nicht der Illusion erliegt, dass der Ortswechsel alles verändert. Man sitzt ja nicht plötzlich nur noch Kaffee trinkend unter einer Palme. Um viele der alltäglichen Probleme, die man zu Hause hat, muss man sich genau so im Ausland kümmern. Da hilft gute Vorbereitung, aber häufig beschäftigen sich Menschen, die auswandern, mit ganz einfachen Dingen nicht.
Flügge: Welche zum Beispiel?
Christiane Sternberg: Viele, die bei Renteneintritt ins Ausland gehen, bedenken nicht, dass sie dann noch viel Lebenszeit haben. Wenn der Tag dann nur aus Kaffeetrinken und Besuchen bei Freunden besteht, ist das wenig erfüllend. Man muss sich vorher klar machen: Womit möchte ich dort meine Zeit füllen? Möchte ich dort arbeiten? Wenn ja, welche Möglichkeiten gibt es? Noch ein Beispiel: Eltern, die aus Deutschland auswandern, müssen sich vorher gut informieren, auf welche Schule sie ihre Kinder schicken können. Oft kommen ja nur Privatschulen infrage, an denen auf deutsch oder englisch unterrichtet wird. Diese sind aber sehr teuer. Auf einige Umstände kommt man von allein aber auch nicht. Hier auf Zypern ist zum Beispiel der Personennahverkehr miserabel. Für Eltern bedeutet das, dass sie ihre Kinder täglich mit dem Auto zur Schule bringen und wieder einsammeln und sie am Wochenende auch mal nachts von einer Party abholen müssen. Deshalb ist es so wichtig, solche Details zu beachten und sich so genau wie möglich mit den Gegebenheiten im Zielland auseinanderzusetzen.
Flügge: Wie bereitet man sich am besten auf das Leben im anderen Land vor?
Christiane Sternberg: Man sollte mehr Zeit dort verbracht haben als einen einzigen zweiwöchigen Urlaub und das Land auch mal in anderen Jahreszeiten erlebt haben. Am besten spricht man viel mit Menschen, die dort leben. Wenn man vor Ort noch keine tiefer gehenden Kontakte geknüpft hat, kann man zum Beispiel bei Facebook diversen Gruppen beitreten, „Deutsche in .…..“ heißen die meist. Mitglieder, die dort schon wohnen, beantworten mit Engelsgeduld alle Fragen. Einem Land kann man sich auch gut nähern, indem man sich mit seinem Jahres-, Wochen- und Tagesrhythmus beschäftigt: Welche Feiertage gibt es dort und werden die noch ernst genommen? Welche Sendungen im Fernsehen sind besonders beliebt und was mögen die Menschen so sehr daran? Letztlich wird es aber selbst dann Momente geben, in denen einem die Mentalitätsunterschiede zu schaffen machen können.
Flügge: Und was tut man, wenn man erst vor Ort feststellt, wie groß diese Unterschiede sind?
Christiane Sternberg: Zunächst mal ist das völlig normal. Das ist übrigens auch der Grund, warum Beziehungen, in denen einer von beiden aus einem anderen Land kommt, viel Arbeit bedeuten. Oft stellt ein Partner fest, dass der andere in seinem Land ganz anders tickt als im eigenen. Jeder fällt zu Hause wieder in seinen alten Rhythmus zurück. Die Frage ist dann aber: Wie gehe ich damit um? Man kann das Ganze als Abenteuer sehen und als persönliche Bereicherung. Das ist die Chance, seinen eigenen Kompass neu zu justieren und sich selbst von einer anderen Seite kennen zu lernen. Wenn die Sichtweisen, die man zu Hause für gut und richtig hielt, komplett über den Haufen geworfen werden, kann man sich fragen: Stellt das, was mich aufregt, in diesem Land vielleicht eine viel sinnvollere Haltung dar als die, die ich von zu Hause gewöhnt bin? Ich bin auf Zypern zum Beispiel ruhiger geworden. Mein Bedürfnis nach Pünktlichkeit habe ich dem Leben hier angepasst. Wenn ich auf eine Behörde gehe, weiß ich, dass das hier eben etwas länger dauern kann. Und wenn jemand bei rot über die Ampel fährt und ich sage „Das darf der doch nicht!“, müssen mein Mann und ich laut lachen.
Flügge: Was empfinden Sie am Auswandern aus Deutschland als besonders bereichernd?
Christiane Sternberg: Wenn man sich die Freiheit genommen und den Mut aufgebracht hat, diesen Schritt zu gehen, dann stärkt das die eigene Persönlichkeit enorm.
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Auswandern aus Deutschland: Hilfreiche Linktipps
Wer den Entschluss, aus Deutschland auszuwandern, schon gefasst hat, braucht konkrete Tipps und Checklisten zum Abhaken. Was muss man beachten, was ist wann zu erledigen, welche Dokumente, Anträge, An- und Abmeldungen darf man nicht vergessen? Eine gute Übersicht habe ich auf auslandsgedanken.de gefunden, aber auch workwide.de bietet hier eine kompakte Checkliste. Außerdem bietet der Verein „Deutsche im Ausland e.V.“ auf seinen Seiten umfangreiche Tipps zur Planung von Auslandsaufenthalten und zahlreiche Informationen über die Zielländer. Hier bietet der Verein ebenfalls eine Checkliste.
Auch die Bundesregierung gibt auf ihren Seiten hilfreiche und nützliche Tipps zum Auswandern aus Deutschland. Im Bundesverwaltungsamt wurde eine Bundesstelle für Auswanderer und Auslandstätige eingerichtet. Online gibt es Informationen zu allen möglichen Fragen, die sich Auswanderer in verschiedenen Lebenssituationen stellen – auch und speziell Fragen rund ums Auswandern als Rentner. Auch das Thema Rückkehr spielt dort eine Rolle.
Es gibt auch die Möglichkeit, sich persönlich beraten zu lassen, wenn man aus Deutschland auswandern möchte. In jedem Bundesland gibt es „Auskunfts- und Beratungsstellen für Auswanderer und Auslandstätige“. Hier findet Ihr, nach Bundesländern sortiert, die Kontaktdaten zertifizierter Beratungsstellen.
Erfahrungsberichte von Auswanderern
Wenn Du gern Erfahrungsberichte von Menschen liest, die ihre Heimat verlassen haben, um im Ausland zu leben, dann bist Du hier auf dem Blog goldrichtig. Regelmäßig lasse ich hier Auswanderer zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen. Du kannst zum Beispiel folgende Erfahrungsberichte lesen:
- Marion hat in einer Lebenskrise alles stehen und liegen lassen und ist von Deutschland nach Lappland ausgewandert.
- Christian ging zunächst mit „Work and Travel“ nach Kanada und entschied sich dann, ganz nach Kanada auszuwandern.
- Bianca ist der Liebe wegen in die USA ausgewandert und erzählt hier von ihrem Leben in New York City.
- Marc aus der Schweiz erzählt hier vom Auswandern nach Costa Rica.
- Tizia verbrachte als Freiwillige ein Jahr in Tansania. Immer wieder zog es sie in das ostafrikanische Land zurück, bis sie sich in einen Tansanier verliebte. Heute betreibt Tizia in Tansania ihr eigenes Hostel.
- Annett verliebte sich ebenfalls, gab in Deutschland alles auf und zog zu ihrer Liebe nach Italien. Heute arbeitet sie als Tourguide in Rom.
Das sind nur einige Beispiele, es gibt noch weitere Auswanderer-Geschichten. Hier findest Du die Übersicht aller Erfahrungsberichte hier auf dem Blog.
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Du möchtest auch auswandern aus Deutschland oder hast es schon getan? Was muss man Deiner Meinung nach dabei beachten? Erzähl mir davon in den Kommentaren!
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“Gute Vorbereitung und klare Vorstellung” … in diesem Fall wäre ich nie ausgewandert. ;)
Du kanntest das Land doch aber auch schon vorher recht gut, oder?
Sagen wir, ich wusste, dass es nicht einfach sein würde, sich hier sein Geld zu verdienen, aber ich wusste auch, dass ich eine ganz tolle Familie dazu bekomme, die uns über die ersten Schwierigkeiten hinweghilft.
Das ist mehr als die meisten haben. Und alles ist gut geworden, das ist schön! (An alle Mitleser: Corinnas Geschichte steht hier: http://fluegge-blog.de/leben-in-apulien/)
Der kurze Abriss des Buches kommt mir sehr hochgestochen und intellektuell vor. Die meisten Auswanderer gehen von ganz andren Voraussetzungen aus. An erster Stelle sollte bei der Vorbereitung das Erlernen der Sprache (Kurse bei der VHS) sein. Schritt 2: Alles Noetige ueber den Verwaltungsapparat eruieren. Was muss ich tun! ? Wohnungssuche, polizeiliche Anmeldung, Finanzamt (Steuernummer), weitere Auskuenfte ueber Krankenversicherung, Autozulassung, Schulen, Kita’s und alle Kosten. Ich habe das Buch nicht gelesen. Mich wuerde aber interessieren, ob auch ueber Rueckwanderer etwas zu lesen ist. Auswanderer plündern gerne ihre Rentenkonten. Kommen Sie zurück passiert was? Leben Sie dann vom Staat? Das ist alles zu berücksichtigen und liegt… Read more »
Liebe Gisela, danke für Ihren Kommentar. Selbstverständlich geht es in Christiane Sternbergs Ratgeber auch um alle von Ihnen genannten verwaltungsorganisatorischen Dinge, die zu regeln sind, wenn man auswandert. Es handelt sich schließlich um eine „Checkliste“. Die Autorin widmet sich aber auch der emotionalen Situation, in der viele (angehende) Auswanderer sich befinden. Ich persönlich empfand das nicht als zu hochgestochen oder intellektuell. Zu Ihrem zweiten Kritikpunkt: Sicher mag es auch solche Fälle geben, ich halte das aber für eine sehr negative Sichtweise. Viele junge Menschen wandern vor allem aus beruflichen Gründen aus, das wird im Zuge der Globalisierung auch weiterhin zunehmen.… Read more »
Auswandern ist schwieriger als gedacht, wir versuchen schon seid Monaten auszuwandern. Aber man muss alles gut durchdenken, es klappt nicht immer so so wie man es sich vorstellt. Danke für den Beitrag.
Lg sina
Auswandern oder Aussteigen war garnicht unser Plan, als wir anfingen im Süden zu überwintern. Es gefiel uns einfach und wir haben es zeitlich immer weiter ausgedehnt und waren immer seltener in D. Selbst bei bezahltem Haus hat man dort mit allem drumrum fast mehr Kosten als das Leben im Süden kostet. Dann fragt man sich zwangsläufig, ob man D nicht aufgibt. Das taten wir dann vor über 10 Jahren und sind mit der Entscheidung glücklich. Allerdings haben wir uns nicht auf ein Land festgelegt, sondern reisen mit Segelboot und /oder Wohnmobil durch Europa. Damit möchten wir sagen, dass man auch… Read more »
Hallo Ellen und Jürgen, danke, dass Ihr Eure Erfahrungen teilt! Ja, sicher, so geht es auch – man muss sich das aber eben finanziell und zeitlich leisten können. Viele müssen direkt arbeiten in der neuen Heimat oder können nicht testweise die Arbeit daheim ruhen lassen, es hängt eben immer von den Umständen ab. Ich wünsche Euch alles Liebe auf Euren Reisen!
Viele, die es sich finanzell und zeitlich wirklich leisten könnten, meinen, sich nicht aus den Fängen des Hamsterrades befreien zu können. Man muss eben auch etwas aufgeben und geschenkt bekommt man nix und die meisten sind bequem. Solange sie uns nichts vorjammern ist es ja ok. Die finanzelle Seite wird ebenfalls nach unseren Erfahrungen überbewertet, da wir sehr viele Reisende kennen, die auf Sparflamme unterwegs sind und recht gut “überleben”! Wenn man zuhause nicht zurechtkommt, wird man es in einem fremden Land meist auch nicht schaffen, im Umkehrschluss haben wir festgestellt, dass Leute die in D zurecht kommen, es auch woanders… Read more »
Ich gebe Euch recht, dass viele Angst vor der eigenen Courage haben. Dieser Blog ist auch dazu da, zum Aufbrechen zu motivieren und ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass man nicht reich geboren worden sein muss, um zu reisen oder in ein anderes Land zu gehen - es gibt verschiedene Möglichkeiten, Work and Travel etwa für Leute bis 35 Jahre, für Altersgruppen darüber gibt es wieder andere Programme. Manch einer kann vielleicht auch mit ganz wenig auskommen, auch das stimmt natürlich. Ich meinte lediglich, dass nicht jeder einfach nur reisen kann ohne irgendwann wieder ein Einkommen generieren zu müssen.
Ein toller Beitrag, der viele wichtige Aspekte des Auswanderungsprozesses beleuchtet! Es ist beeindruckend, wie gründlich du das Thema von der emotionalen Bereitschaft bis hin zu den praktischen Checklisten abdeckst. Es zeigt, dass ein gut geplanter Umzug ins Ausland zwar herausfordernd, aber auch sehr bereichernd sein kann. Vielen Dank für die wertvollen Tipps und Einblicke!