Zuletzt aktualisiert am 1. September 2022 um 5:52
Von einer langen Reise heimkehren – und weitermachen wie bisher? Das ist oft gar nicht so leicht. Zurück in ihrer Heimat erleben viele Weltenbummler einen regelrechten Kulturschock und eine Post-Reise-Depression. Eine Geschichte über die Tücken der nahenden Rückkehr und Gedanken, die das Ende der Weltreise und das Nach-Hause-Kommen leichter machen.
Die Tücken der Rückkehr: Eine Geschichte
„Iiit’s a shiiiiiit!“ Arianna schüttelt energisch den Kopf. Wenn sie für eines kein Verständnis hat, dann ist das, wenn jemand traditionelles Essen nicht wertschätzt. Bis vor kurzem war sie Kellnerin bei einem Nobelitaliener in Melbourne, da hat sie Tag für Tag zähneknirschend die absurden Extrawünsche der Gäste entgegengenommen.
Besonders schlimm: Gnocchi statt Spaghetti. „Gnocchi Carbonara, ich bitte dich! Das ist doch grässlich, da haftet doch die Soße gar nicht richtig dran. Wenn die Leute schon zum Italiener gehen, dann sollten sie auch wirklich italienisch essen“, sagt die Frau mit dem dunkelbraunen, kinnlangen Haar und der leicht rauen Stimme. Dann taucht sie im hüfthohen Wasser ab und schwimmt ein Stück weiter hinaus.
Es ist 11 Uhr vormittags auf der thailändischen Insel Koh Lanta. Arianna, die 26-jährige Italienerin aus Rom, und ich baden in der Andamanensee. Wir stehen auf Zehenspitzen am Long Beach im türkisfarbenen Wasser. Unsere Handtücher liegen im Schatten eines mit roten Lampions geschmückten Baumes auf Höhe des „Funky Fish“ – der Strandbar, in der wir heute wohl den dritten Tag in Folge versacken werden. Vorgestern haben Arianna und ich uns dort beim Frühstück kennen gelernt und festgestellt, dass wir viel gemeinsam haben: Bis vor Kurzem waren wir mit einem Work-and-Travel-Visum im Ausland, sie in Australien, ich in Kanada. Jetzt reisen wir beide von unserem letzten Ersparten ein paar Wochen um die Welt, bevor wir wieder nach Hause fliegen. Zurück ins Vertraute, dem wir knapp ein Jahr zuvor entflohen sind.
Heimkehren von einer langen Reise – mit gemischten Gefühlen
Heute ist das Wasser frischer als sonst, zum ersten Mal, seit wir hier sind, haben wir ein bisschen Strömung. Kleine Wellen spülen immer wieder über unsere Köpfe hinweg, während wir reden. „In Rom war ich auch mal“, erzähle ich, „wunderschön! Als würde man durch eine Filmkulisse spazieren.“ Arianna streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht und zieht die Augenbrauen hoch. „Ja“, meint sie, „für Touristen ist Rom sicher schön. Da zu leben, ist etwas anderes. Kaum ein Römer kann es sich noch leisten, in der Innenstadt zu wohnen. Die meisten leben außerhalb und stehen jeden Tag stundenlang im Stau. Auf den Straßen ist ständig Chaos und der öffentliche Nahverkehr ist eine Katastrophe. Immer überfüllt.“ Dabei macht sie ein Gesicht, als stünde sie gerade im Gedränge eines vollen Römer Stadtbusses zur Rush Hour statt in der offenen Weite der Andamanensee.
In vier Wochen fliegt Arianna von Thailand aus nach Hause. Dorthin, wo ihre Familie und Freunde sich auf ihre Rückkehr freuen. Dorthin, wo ihr jetzt – nach der Reise – nicht nur die Busse viel zu eng erscheinen.
Wir kommen verändert nach Hause zurück
„Sobald ich das Geld für ein Studentenvisum zusammen habe, gehe ich zurück nach Melbourne. Auch wenn es Mama das Herz brechen wird.“ Arianna betrachtet ihre Hände unter der Wasseroberfläche. Ihr graut vor dem Gespräch, in dem sie ihrer Mutter von ihren Plänen erzählen wird. Schon damals sei ihr der Abschied schwer gefallen. Ihr Vater hat die Familie verlassen, als Arianna noch zur Schule ging, der Bruder ist mit seiner Familie nach Florenz gezogen. Das Geld, das ihre Mutter als Verkäuferin verdient, reicht gerade eben, um in Italiens teurer Hauptstadt zu überleben – aber zum Sparen bleibt nichts.
Heimkehren mit neue Träumen, neuen Plänen
„Wenn ich in Rom bleibe, sieht mein Leben später genau so aus. Ich müsste Jahre arbeiten und extrem sparsam leben, um je wieder so eine Reise wie diese hier machen zu können“, sagt sie und beschreibt mit dem rechten Arm einen Halbkreis, bevor sie ihn ins Wasser klatschen lässt. „In Australien beträgt der Mindestlohn mehr als 17 Dollar pro Stunde, ich habe sogar 21 bekommen! Da ist so ein Trip nach ein paar Monaten wieder drin! Da kann ich Geld zur Seite legen, um mich später mal selbstständig zu machen mit einem eigenen Laden, in dem ich italienisches Gebäck verkaufe. Das ist mein Traum“, sagt sie fast entschuldigend.
Wie lange wir wohl schon im Wasser sind? Wir sehen uns um. Von der Liegestelle, wo unsere Handtücher liegen, sind wir ziemlich weit abgetrieben, zum „Funky Fish“ müssen wir am Ufer ein gutes Stück zurücklaufen. Im offenen Meer schwimmen, das ist auch wie eine lange Reise: Du gehst ins Wasser, lässt dich treiben. Und kommst kaum jemals genau da wieder raus, wo du hineingegangen bist.
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Heimkehren nach einer langen Reise: Ja, es ist hart
Ich kann jeden nur bestätigen, diesen Traum zu leben und doch muss ich darauf hinweisen, dass das Suchtpotenzial sehr groß ist und man unter Umständen nur schwer wieder zurück in ein normales Leben findet.
Das las ich neulich in einem Facebook-Post einer Langzeitreisenden und fand: Mit ihren Worten hat sie zweifelsohne recht. Dass viele Heimkehrer nur schwer in den Alltag zurückfinden, beweisen etliche andere Facebook-Posts, die mir regelmäßig in verschiedenen Weltreise-Gruppen begegnen. So schön es auch ist, langjährige Freunde wieder um sich zu haben und Zeit mit der Familie verbringen zu können – Glücksgefühle wollen sich bei den meisten einfach nicht einstellen, die kurz zuvor noch an einem Traumstrand auf Hawaii gelegen oder allabendlich in Südspanien den Sonnenuntergang beobachtet haben, die in Nepal gewandert oder mit dem Scooter über eine Insel in Thailand gecruist sind. Im Gegenteil: Viele Heimkehrer sind regelrecht verzweifelt, nahezu depressiv. „Nach der Reise bin ich in ein tiefes Loch gefallen“, lese ich häufig, oder: „am liebsten würde ich sofort wieder abhauen.“
Je länger die Auszeit, umso schwerer der Wiedereinstieg
Die Gründe für das Fremdeln mit der Heimat und dem Alltag liegen auf der Hand: Plötzlich ist die grenzenlose Freiheit weg, sich den Tag so zu gestalten, wie man will; plötzlich fehlt es an neuen Eindrücken, an Abwechslung und in vielen Fällen auch schlichtweg an Sonnenlicht und Wärme. Hat man auf Reisen das Gefühl, voller Energie zu sein und Berge versetzen zu können, fühlt man sich vom Altbekannten in der Heimat, von der Routine, eingeengt, regelrecht erstickt. Beschwingt einen unterwegs das tiefe Vertrauen, für jedes Problem eine Lösung zu finden, tut man sich zu Hause mit einfachen Erledigungen schwer – und Notwendiges wie die Jobsuche und das Schreiben von Bewerbungen überfordert einen völlig.
Dabei scheint zu gelten: Je länger die Auszeit, umso schwerer der Wiedereinstieg. Ein Stimmungstief nach ein paar Wochen Ferien ist nichts Ungewöhnliches. Einer Umfrage zufolge kennt jede:r dritte Deutsche das beklemmende Gefühl nach der Heimkehr aus dem Jahresurlaub. Etwa drei Tage hält es an und selbstverständlich hat das Phänomen auch einen Namen: Post Holiday Syndrom. Viele der Tipps, die Experten zur Linderung der Symptome geben („Basteln Sie ein Fotobuch! Nehmen Sie ein Bild, einen Stein oder eine Muschel als Erinnerung mit ins Büro!“) sind für Langzeitreisende der blanke Hohn oder dürften ihnen zumindest maximal ein müdes Lächeln abringen. Lediglich einen Tipp finde ich hilfreich auch für Menschen, die mehrere Monate am Stück unterwegs waren. Folgenden: „Führen Sie gute Gewohnheiten zu Hause fort!“ Heißt konkret: Wer während seiner Weltreise das Lesen für sich wiederentdeckt hat, sollte es auch daheim in den Alltag integrieren. Wer Kochen gelernt und sich unterwegs besonders gesund ernährt hat oder wer begonnen hat, Yoga zu machen, sollte das auch daheim beibehalten.
Und egal ob man nun zwei Wochen oder zwei Jahre weg war: Das Wieder-Eingewöhnen lässt sich nicht erzwingen,sondern es passiert mit der Zeit ganz einfach. Ganz genau so, wie es dieser Text wunderbar beschreibt.
Tipps für Heimkehrer gegen die Post-Reise-Depression
Nichtsdestotrotz habe ich hier drei Tipps versammelt, die das Heimkehren nach einer langen Reise vielleicht ein wenig angenehmer machen.
Tipp 1 – Sei gewiss: Du bist nicht allein!
Fast jeder in dieser Situation hat Probleme mit der Rückkehr und sicher tut es gut, sich mit anderen darüber auszutauschen. In den Facebook-Gruppen für Weltreisende kommen die Mitglieder regelmäßig auf das Thema „Kulturschock Deutschland“ zu sprechen, hier findest du sicher Ansprechpartner:innen und ein offenes Ohr. Außerdem möchte ich dir dringend zwei Beiträge empfehlen. Der erste ist auf matsch-und-piste.de erschienen. Einfühlsam und reflektiert beschreibt die Autorin die letzten Wochen ihrer Reise und die ersten, schwierigen Wochen zurück in Hamburg. Sie beschreibt, wie sie und ihr Partner von Stadtmenschen zu Landeiern wurden und auch, wie sich nach der Reise ihr Freundeskreis verändert hat.
Den zweiten lesenswerten Beitrag findest du auf soultravelista.de. Die Bloggerin hat acht Weltreisende gefragt, wie sie sich in den ersten Monaten nach ihrer Reise fühlten (Spoiler: nicht gut) und wie sie schlussendlich wieder Boden unter die Füße bekamen. Für einige war dafür aber auch ein beruflicher Neustart oder ein Umzug notwenig.
Tipp 2 – Sei dankbar für das, was du erlebt hast
Wir, die wir einmal oder sogar mehrmals im Leben monatelang um die Welt reisen können, müssen uns klar machen, wie unfassbar privilegiert wir sind. Reisen und Nichtstun sind Luxus, den nur ein Bruchteil der Weltbevölkerung sich überhaupt leisten kann. Das soll nicht heißen, dass Heimkehrern Traurigkeit oder Ratlosigkeit nicht zustehen. Das Bewusstmachen unserer Privilegien kann aber dabei helfen, dankbar zu sein, dass wir so etwas überhaupt einmal erleben durften, anstatt lange niedergeschlagen zu sein, dass es vorbei ist.
Tipp 3 – Mach dir einen Plan für „danach“
Klar, man will die Vorfreude beim Planen der Reise und jeden einzelnen Reisetag genießen – der Gedanke an die Zeit danach wirkt da nur störend. Es wäre aber sinnvoll, sich auch schon am Anfang oder spätestens unterwegs zu überlegen, wie der Alltag hinterher eigentlich aussehen soll. Mein Tipp: Frag dich sehr ehrlich, was du dir vorstellen kannst und was nicht, schreib Ideen auf und denke bewusst ab und zu darüber nach. So viel Zeit und Ruhe, um zu ergründen, was du wirklich willst, hast du nach dem Heimkehren von der Reise wahrscheinlich nicht mehr.
Hier und da kannst du auch schon mal ein paar Möglichkeiten recherchieren. Natürlich sollst du dir nicht die Auszeit mit Zukunftssorgen verderben. Aber dich damit auseinanderzusetzen, kann dich ein bisschen vor der vollkommenen Ratlosigkeit bewahren, die viele Heimkehrende ereilt. Manchmal entstehen auf der Reise auch Träume und Lebensvorstellungen, zu denen die Heimat nicht mehr passt, sodass man am Ende nicht dauerhaft zurückkehrt – ganz so, wie es auch Arianna in der obigen Geschichte erlebt.
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Heimkehren von einer langen Reise: Hast du auch schon eine Post-Reise-Depression erlebt und bist erst einmal in ein Loch gefallen? Wie bist du dort wieder herausgekommen? Erzähl mir davon gern in den Kommentaren!
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Immer wieder eine große Freude Deine kleinen Geschichten zu lesen !
:) Vielen lieben Dank!
“Du springst ins kalte Wasser. Du lässt dich treiben. Und kommst kaum jemals genau da wieder raus, wo du hineingegangen bist.” Wow, das hast du echt schön geschrieben, und es ist auch so wahr. Bin seit 2 Monaten wieder zurück in der Heimat und hab manchmal richtige Einsamkeitsschübe. Um mich da wieder rauszubekommen muss ich raus in die Natur oder fahre mit dem Fahrrad durch Hamburg, bin quasi Tourist in der eigenen Stadt, das hilft ungemein. Am schlimmsten finde ich, dass man sich selbst sehr verändert hat, aber alles andere scheint fast unverändert zu sein. Wann geht es denn bei dir zurück… Read more »
Ich lese gerade in deiner “über mich” Rubrik das du Journalistin bist und schon lange an dem Schreiben dran bist. Sehr gut ;-)
Hehe, ja, das bin ich. Sehr aufmerksam.
Liebe Jen, tausend Dank! Ich bin schon längst wieder zu Hause, auch in Hamburg, seit vier Monaten. Da haben wir etwas gemeinsam. Ja, das verstehe ich – das Gute ist: Man kann so eine Reise wieder unternehmen. Wer wirklich möchte, tut’s am Ende auch. Du zählst sicher dazu. :)
Liebe Susanne, danke für den schönen Bericht. Ich war ca 7 Jahre am Long beach direkt neben dem Funky Fish, im Somewhere else auf Urlaub -zuletzt 12 Wochen - und habe die kleinen Wellen fast direkt gefühlt. Nächstes Jahr werde ich wohl wieder mal hinfliegen und hoffe sehr, dass noch alles “beim Alten” ist! Aber allein das Foto mit Ko pipi im Hintergrund einfach herrlich! Nur weil ich hier in Deutschland meine ganze Familie habe bleibe ich hier !!!
Hallo Renate, vielen Dank! Ist nicht Dein Ernst: “Somewhere else”-Bungalows? Da habe ich auch genächtigt! Und kann Dir berichten: alles immer noch wunderschön! :)
Wieder einmal schaffst du es, uns mit ins Wasser zu nehmen und die Wellen zu spüren. Man kann sich so richtig vorstellen, wie ihr zwei den Moment und die Sonne über euch genießt. Als deutscher Langzeitreisender macht man sich ja schon den einen oder anderen Gedanken, wie es sein wird, wenn man zurück in die Heimat geht. Wenn ein neuer Job her muss und man finanziell wieder ganz von vorne beginnt. Aber als Italiener ist es sicherlich nochmal eine andere Geschichte. ich glaube, ich kann Arianna gut verstehen. Arbeiten in Australien ist einfach zu verlockend - wenn auch nicht so… Read more »
Hi Liane, vielen Dank! Das stimmt: Ganz einfach klang es nicht. Sie erklärte mir, dass viele sich einen Studiengang suchen und dann mit einem Studentenvisum kommen, wenn sie Work and Travel ausgereizt hätten. Das sei wohl nicht ganz billig. Aber so könne man zunächst nebenbei arbeiten und am Ende womöglich doch bleiben. Leider sind wir nicht mehr so richtig in Kontakt, aber Du hast Recht, das wäre mal intressant, zu hören, wie die Heimkehr wirklich war. Sie wird aber noch in Rom sein, davon geh ich aus.